Allgemeines
Architekturarchive
Archivbau
Archivbibliotheken
Archive in der Zukunft
Archive von unten
Archivgeschichte
Archivpaedagogik
Archivrecht
Archivsoftware
Ausbildungsfragen
Bestandserhaltung
Bewertung
Bibliothekswesen
Bildquellen
Datenschutz
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
null

 

Kodikologie

Die Handschrift von 1523 aus dem Besitz des Duke of Northumberland auf Almick Castle kann online begutachtet werden.

http://britishlibrary.typepad.co.uk/digitisedmanuscripts/2015/09/erasmus-manuscript-saved-for-the-nation.html

In der Germania 37 (1892) publizierte der Nassauische Privatgelehrte FWE Roth, hier kein Unbekannter

http://archiv.twoday.net/search?q=fwe+roth
https://de.wikisource.org/wiki/Ferdinand_Wilhelm_Emil_Roth

"Mittheilungen" zu acht Handschriften (S. 282-287) und zu 35 Druckwerken (S. 287-295), wobei letztere sich nach Roths Angaben in seinem Besitz befanden. Nur um die Handschriften soll es hier gehen.

http://www.archive.org/stream/germania37pfeiuoft#page/282/mode/2up

Nr. I ist ein Pergamentfragment des 14. Jahrhunderts mit diätetischen Monatsregeln, die Roth abdruckt (S. 282f.). Es befand sich angeblich als Makulatur in einem "Drucke der Pfarrbibliothek zu Bingen". Außer Roth hat dieses Stück anscheinend niemand zu Gesicht bekommen, der Handschriftencensus sagt:

"Das Fragment ist nach Auskunft von Brigitte Pfeil (Erfurt) zur Zeit (Juni 2008) nicht auffindbar; eine Suche wird vor allem dadurch erschwert, daß Roth keinerlei Angaben zum Trägerband macht ("An einem Drucke der Pfarrbibliothek zu Bingen befindet sich auf den Deckeln verklebt ...")."
http://www.handschriftencensus.de/7777

Nr. II, eine Seuse-Handschrift ( 'Büchlein der ewigen Weisheit'), ist heute Hs. 45 der Mainzer Martinus-Bibliothek (ehemals Seminarbibliothek).

http://www.handschriftencensus.de/24136
http://www.hss-census-rlp.ub.uni-mainz.de/mz-mb-hs-45

Roth gibt kurze Textproben, wie üblich wenig zuverlässig, soweit die Angaben des Handschriftencensus RLP eine Überprüfung zulassen.

Nr. III, eine Handschrift des gleichen Werks in der gleichen Bibliothek, scheint ein Phantom zu sein, denn eine solche zweite Seuse-Handschrift existiert nicht. Der Census RLP und der Handschriftencensus erklären sie für vermutlich identisch mit Hs. 45.

http://www.handschriftencensus.de/24139

Vielleicht hat Roth zweimal Notizen zu der Handschrift angefertigt und diese versehentlich auf zwei Handschriften bezogen.

Nr. IV ist in der gleichen Bibliothek heute Hs. 35, ein wohl in Bayern entstandenes deutsches Gebets- und Betrachtungsbüchlein für eine Frau von 1513.

http://www.handschriftencensus.de/24135
http://www.hss-census-rlp.ub.uni-mainz.de/mz-mb-hs-35

Nr. V ist das Andachtsbuch (15. Jahrhundert) ebenda Hs. 131.

http://www.handschriftencensus.de/24137
http://www.hss-census-rlp.ub.uni-mainz.de/mz-mb-hs-131

Nr. VI ist der angebliche Tauler-Sammelband in Roths Besitz, auf den ich gleich zurückkomme.

Nr. VII wurde 2010 von Gisela Kornrumpf für den Handschriftencensus analysiert:

"Aufbewahrungsort Privatbesitz F. W. E. Roth, Geisenheim (am Rhein), ohne Sign. [verschollen]
Codex 84 Blätter
Beschreibstoff Papier
Inhalt a) Heinrich Seuse: 'Büchlein der ewigen Weisheit', Kap. 21, mit anderer Einleitung, als Sterbebüchlein
b) 'Sendbrief gegen den Geist der Lästerung', mit Zitaten aus Johannes Klimakos: 'Scala paradisi' [s. Ergänzender Hinweis 1]
c) Marienlied, 9 paargereimte Vierzeiler (Inc. Ave Maria du reine mayd, / Du bist mit tugent wol bekleid) [s. Ergänzender Hinweis 2]
Blattgröße Oktav
Schriftraum unbekannt
Spaltenzahl unbekannt
Zeilenzahl unbekannt
Entstehungszeit 15. Jh.
Schreibsprache wohl md., Lied (Nachtrag?) ostobd.
Abbildung ---
Literatur
F. W. E. Roth, Mittheilungen, in: Germania 37 (1892), S. 282-295, hier S. 286f. (Abschnitt 1, Nr. VII), mit Abdruck des Liedes. [online]
Nigel F. Palmer, Johannes Klimakos, in: 2VL 11 (2004), Sp. 775-777, hier Sp. 777 (mit dieser Hs.).
Archivbeschreibung ---
Ergänzender Hinweis 1) Die beiden ersten Texte auch in Privatbesitz Karl Helm, Gießen/Marburg, ohne Sign.; der zweite Text auch in Trier, Stadtbibl., Hs. 813/1343 8°. Möglicherweise enthält die Hs. noch weitere Texte ohne Überschrift (nur diese zitiert Roth).
2) Das Marienlied ist ein wenig bearbeiteter Auszug aus Wackernagel, Kirchenlied 2, 1867, Nr. 739 (S. 568f.)."

http://www.handschriftencensus.de/22792

Der Seuse-Text wird von Roth nicht identifiziert. Er könnte ihn aus einer Seuse-Handschrift oder unidentifiziert aus einer ihm zugänglichen anderen Handschrift entnommen haben, vorausgesetzt, er beschrieb nicht tatsächlich eine eigene Handschrift, sondern erfand eine solche. Die Trierer Handschrift war ihm leicht zugänglich. Sie stammt aus St. Matthias in Trier und ist online einsehbar.

http://stmatthias.uni-trier.de/?l=n&s=suche&k_id=366
Digitalisat

Aus dem Anfangsteil konnte Roth leicht die Überschrift zurechtbasteln: wider den Geist der Lästerung aus dem heiligen Vater und Lehrer Johannes Climacus in dem Buch von den dreißig Staffeln. Die verschollene Helm'sche Handschrift hat wie Roth "geyst der lesterunge", siehe die Akademiebeschreibung:

http://www.bbaw.de/forschung/dtm/HSA/700387070010.html

Denkbar ist, dass Roth die Handschrift kannte, die später dem Gießener Professor Karl Helm gehörte und erstmals von Spamer 1909

http://www.archive.org/stream/beitrgezurgesc34halluoft#page/376/mode/2up

erwähnt wird. In ihr hätte Roth auch den Seuse-Text finden können.

Die 36 Verse Marienlied, die Roth S. 286f. edierte, sind ein stark gekürzter Auszug aus einem [oft] Heinrich Laufenburg Laufenberg zugeschriebenen Lied, das Philipp Wackernagel 1867 aus dem bairischen Cgm 858 abgedruckt hatte.

https://books.google.de/books?id=pwNBAAAAcAAJ&pg=PA568

Zum Cgm 858 siehe den Katalog von Karin Schneider
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0046_a678_jpg.htm
und
https://books.google.de/books?id=Gqf0oOOB2QkC&pg=PA477

Die wenigen Abweichungen zu ergänzen, hätte den ja mit mittelhochdeutschen Texten vertrauten Roth nicht überfordert. Hätte Roth den Text fabriziert, würde das auch die von Kronrumpf mit "wohl md., Lied (Nachtrag?) ostobd." angedeutete Mischung der Schreibsprachen erklären. Es wäre ihm dann nicht gut gelungen, die bairischen Formen seiner Vorlage in die ihm vertraute Schreibsprache des 15. Jahrhunderts in seiner Heimat zu übersetzen.

Wie alle (Bibliotheks-)Handschriften Roths ist auch diese nie mehr aufgetaucht, eine Überprüfung daher nicht möglich. An archivalischen Amtsbüchern aus dem Besitz von Roth, die heute noch greifbar sind, kenne ich nur das Eltviller Oberamtsbuch:

http://www.rheingau-genealogie.de/goebel.htm

Die Annahme einer Fälschung liegt für mich nahe (nach allem, was ich von Roth weiß), ist aber nicht zwingend.

Nr. VIII sind lateinische "Epigramma" aus dem Dreißigjährigen Krieg, die Roth in nicht näher bezeichneten "Rheingauer Acten" vorgefunden haben will und die er wie die 1891 mitgeteilten Gedichte der Hand des Hattenheimer Ratsschreibers [Vinzenz] Birckenstock (Roth vertraut) zuweist.

Mitteilung in der Germania 1891:
http://www.archive.org/stream/germania36pfeiuoft#page/178/mode/2up

Die Nummern I und II hat Carl Blümel in seiner Darstellung der maccaronischen Poesie wiederabgedruckt (vgl. S. 13f.):

https://archive.org/stream/diefloiaundande00blgoog#page/n51/mode/2up

Das "Pancketum Leopoldinum" ist eine Bearbeitung des "Pancketum Caesareum" und wird von Hs. 205 der Mainzer Martinus-Bibliothek überliefert. Siehe die Erschließung im Handschriftenarchiv:

http://www.bbaw.de/forschung/dtm/HSA/700386260027.html

Analog zu meinen Darlegungen zu Roths Umgang mit diesem Sammelband

http://archiv.twoday.net/stories/603123975/

möchte ich annehmen, dass er das Stück nicht aus "Rheingauer Acten", sondern aus dem Mainzer Sammelband kannte. Roths 1899 gegebener Hinweis in der Vorstellung des Mainzer Sammelbands "Gedruckt abweichend" in der Germania 1891

http://www.archive.org/stream/JahrbuchFuerGeschichteSpracheUndLiteraturElsass-lothringens14-16#page/n721/mode/2up

dürfte auch hier der Verschleierung dienen. Man muss seine Wiedergabe des Pancketum Leopoldinum natürlich mit der Mainzer Handschrift vergleichen, aber es erscheint bereits jetzt unwahrscheinlich, dass Roth den gleichen seltenen Text einmal in Rheingauer Akten und dann nochmals in der Mainzer Handschrift auffand. Ob sich auch Nr. VIII der Mitteilungen von 1892 in der Mainzer Handschrift vorfinden, bleibt zu prüfen.

Besonders deutlich scheint mir eine Fälschung Roths in der Germania 1892, S. 285, nämlich die Erfindung des Sammelbands mit Schriften Taulers Nr. VI. Es handelt sich nach Roth um eine Quarthandschrift auf Papier im Umfang von 140 Blättern. Roth gibt Überschrift und auch den Textbeginn der vier Bestandteile in einer Art Phantasie-Schreibsprache (niederdeutsch?).

Mutmaßliche Zutaten des Machwerks:

- Titel des Halberstädter Taulerdrucks 1523
- Berliner mgq 1134 oder eine detaillierte Beschreibung desselben

Ziemlich wörtlich findet sich der Titel des niederdeutschen Tauler-Drucks von 1523 in Nr. 1 wieder:

Eyn vaste fruchtbar und nutlicke predige to eyne rechte christlycken levende. Beginnt: Het chrystliche levende etc.

Roth hat vielleicht eine Beschreibung in der Art von

https://books.google.de/books?id=nf4CAAAAMAAJ&q="fruchtbar+"nutlick"

benutzt, bei denen die Kürzungsstriche für eyen(m) rechte(n) fehlten. Auch passt weder das "Het" noch das "chrystliche" sprachlich. Der Textbeginn erforderte keine zusätzliche Anstrengung, wobei "Das christliche Leben" als Predigtanfang für mich nicht unbedingt spätmittelalterlich klingt.

Leider liegt der Katalog des Antiquariats Rosenthal von ca. 1889, den der Handschriftencensus zum mgq 1134 anführt, nicht online vor.

http://www.handschriftencensus.de/11948

Es handelt sich um eine Handschrift von 1490 aus dem Dominikanerinnenkloster St. Katharina in Augsburg.

http://www.manuscripta-mediaevalia.de/dokumente/html/obj31252427,T
Degering:
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0603b_b196_jpg.htm

Nr. 2 bei Roth gibt die Überschrift des ersten Stücks der Handschrift Ein gutte predig von dem hayligen gaysst in der Form Eyn gute predige van dem heyligen geysst. Passend zur Halberstädter Sprachform von Nr. 1 hätte es natürlich hilligen o.ä. heißen müssen. Der Textbeginn bezieht sich aber nicht auf diese Predigt, sondern auf das auch als Taulers Bekehrung bekannte 'Meisterbuch' (der einzige wirkliche Bezug dieser Roth-Handschrift zu Tauler), das die Berliner Handschrift ab Bl. 16r überliefert. Edition:

http://archiv.ub.uni-marburg.de/eb/2011/0443/view.html (S. 2).

Nr. 3 ist abgeleitet von Bl. 97v der Berliner Handschrift:

Ain nutze gute kurtze regel, dar innen sich ain ieclicher mensch billich vben sol vnd sein leben darnach richten.

Ich hab gemacht ein recht gedicht,
Als mich Jhesus hat bericht


Bei Roth: Eyn gute nutze reygel, darynne sich ayn yeclicher mensche reychten sal. Anfang: Ich have gemaycht ayn recht gedichte, Alsse mych Got hayt berychte etc.

Sprachlich befremdet das "have".

Durch diesen Text wurde ich überhaupt erst auf die Berliner Handschrift aufmerksam. Die christliche Lebensregel ist sonst nachgewiesen im Cgm 784, Bl. 280r-280av (um 1458, aus Scheyern)

http://pik.ku-eichstaett.de/6992/

und in Salzburg, Stiftsbibl. St. Peter, Cod. a II 2, Bl. 87v-90r (1471/89, aus St. Peter). Eventuell nennt Hohmann, Th., Discretio spirituum, Diss. Würzburg 1972, Würzburg 1975, S. 32f. weitere Textzeugen (so zumindest Karin Schneiders Katalog zu Cgm 784), aber sehr viele andere dürfte es nicht geben.

Nr. 4 scheint zusammengebastelt aus dem Anfang von Marquard von Lindaus Eucharistietraktat (ebenfalls in der Berliner Handschrift vertreten). Da mir die Ausgabe von Hofmann 1960 nicht zur Hand ist, stütze ich mich auf Hurter 1842 (ihn konnte Roth kennen):
https://archive.org/stream/daszwlfjhrigemn00maurgoog#page/n13/mode/2up
und die Handschriftendigitalisate
Cgm 215
http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00064857/image_262
und Cpg 66
http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg66/0007

Audi filia et vide et inclina aurem tuam. Ach eywige weyssheyt - das ist der Textbeginn des Eucharistietraktats. Aber nun driftet Roth ab, denn es soll sich ja um ein Gedicht handeln (von mir in Versen dargestellt).

Ach eywige weyssheyt so haymeclich,
wye ist dyn hercz so milt,
wye dyne munt so liebelich,
wye dyne lyb so usserwylt etc.


Der Traktat steuerte dazu bei: "Ach ewige Weisheit ... so heimlich, wie ist dein Herz so mild". Der Reim milt/usserwylt erstaunt. Noch erstaunlicher ist, dass Google die Formen "haymeclich" und "usserwylt" überhaupt nicht in einem anderen Text nachweist. Mit "heymeclich" wäre Roth besser gefahren, und usserwylt (auserwählt) müsste im Niederdeutschen "uterwelt" heißen!

Weder der Buchtitel von 1523 als Überschrift einer Predigthandschrift des 15. Jahrhunderts noch die Vergewaltigung des Eucharistietraktats nehmen für die Authentizität der Handschrift Roths ein. Es würde mich wundern, könnte jemand Roths dreiste Bricolage in diesem Fall "retten", aber ich übergebe das Szepter gern den Philologen, die die sprachlichen Aspekte - anders als ich - fundiert behandelt könnten.

Wenn wir gerade dabei sind, können wir auch noch Roths Minneredenhandschrift ("mittelhochdeutscher Sammelband von Predigten") kurz besprechen, die er in der Germania 1892, S. 63f. vorstellte.

http://www.archive.org/stream/germania37pfeiuoft#page/62/mode/2up

Siehe
http://www.handschriftencensus.de/9391

Roth sagt zwar nicht explizit, dass es sich um seine eigene Handschrift handelt, aber man darf dies wohl annehmen.

Roth nennt selbst als weitere Überlieferung der von ihm als "Lieder" missverstandenen Texte die (heute) Wiesbadener und Würzburger Handschrift. Er dürfte auch hier die Wiesbadener (damals Idsteiner) Handschrift sprachlich etwas verändert haben, um mit einem neuen Textzeugen zu prunken.

Zur Wiesbadener Handschrift
http://www.handschriftencensus.de/7174
Anfrage Friedemanns
https://archive.org/stream/archivfrdasstu11brauuoft#page/452/mode/2up
Beschreibung Friedemanns
http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10017752_00085.html

Zur Würzburger
http://www.handschriftencensus.de/6747
Kellers Beschreibung
http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/content/pageview/208215
Siehe
http://www.bibliothek.uni-wuerzburg.de/sondersammlungen/handschriften_und_alte_drucke/handschriften/register/ (unverständlich, dass die UB Würzburg den Aufsatz Thurns zu den Dominikanerhandschriften nicht ins Netz stellt und damit eine wichtige Lücke schließt!)
"Die sechs Kronen" ed. Keller
http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10737689_00616.html

Beide eng zusammengehörige mittelrheinische Handschriften beschreibt ausführlich Ridder 1991
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-53567

Friedemann zufolge war der ehemalige Besitzer der Wiesbadener Handschrift "Wynneck burger zu Mentz" - heute ist der entsprechende Eintrag nicht mehr vorhanden. Für Eberhard Windeck vom Diemerstein (nicht der Chronist Eberhard Windeck/e!) ist 1435 die Namensform Wynneck belegt.

https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/CYKN2B7JLIFF4UJOIOSSWTLRZSNMPUYF

Hat sich Roth gedacht: Wenn es zwei Handschriften mit den gleichen Texten gibt, schadet eine dritte auch nichts? In jedem Fall kann die Germanistik auf diese Handschrift Roths getrost verzichten.

Fazit: Bei dem "Tauler-Sammelband" scheint es mir eindeutig, dass Roth ihn erfunden hat, um mit seinen Bibliotheks-Schätzen einmal mehr anzugeben. Bei Nr. VII und der Minnereden-Handschrift bezweifle ich ebenfalls die Existenz dieser Handschriften, aber zwingend ist dieser Schluss nicht. Ein in Vorbereitung befindlicher Beitrag zu Roth als Fälscher

[ http://archiv.twoday.net/stories/1022477029/ ]

wird jedoch dafür plädieren, bei nicht mehr überprüfbaren Quellen, die Roth verwertet hat, die Beweislast für ihre Echtheit auf denjenigen zu verlagern, der sie für authentisch hält (Beweislastumkehr).

Nachträge: Für das kleine Gutachten im Kommentar zu Nr. VI, das meine Vermutung bestätigt, danke ich Prof. Seelbach. Danke auch den anderen Kommentatoren.

Alles, was Roth für VI, 2-4 brauchte, lieferte der Katalog Nr. 65 von Rosenthal unter Nr. 1116.

https://archive.org/details/RosenthalKatalog65

Roth hat den Gedankenstrich des Katalogs zwischen den ersten beiden Texten (Heiliggeistpredigt und Taulers Bekehrung) übersehen und beide zusammengezogen.

Auch für VII lieferte dieser Katalog die Vorlage (abgesehen vom Marienlied, das Roth aus anderer Quelle hinzufügte), denn die beim Antiquariat Rosenthal 1898 von Helm erworbene Handschrift ist Nr. 437 im Katalog 65. "Ein gude lere wyder d. geyst der lesterunge uss dem heylge Vatter vnd lerer Johannes climacus, in dem buch v. Drissig staffeln" im Katalog ist zusammengezogen aus den Formulierungen der Handschrift zu Anfang des Textes, hat aber wohl Roth als Vorlage gedient. Vor diesem Hintergrund möchte ich die Authentizität auch von Nr. VII als erschüttert ansehen.

***

Zu Fälschungen in Archivalia:
http://archiv.twoday.net/stories/96987511/

#forschung


Zugangsmöglichkeiten erklärt:

http://britishlibrary.typepad.co.uk/digitisedmanuscripts/2015/09/how-to-make-the-most-of-digitised-manuscripts.html#

Den dicken fetten Haken, der im Widerspruch zu dem vollmundigen Public-Domain-Blabla beim Katalog der illuminierten Manuskripte im gleichen Haus

http://archiv.twoday.net/stories/219045004/

steht, darf ich besonders hervorheben:

The Digitised Manuscripts viewer does not facilitate the download of images. Each image is formed of multiple tiles, which, whilst ensuring the excellent zoom facility, cannot be saved as a single file. The content in the Digitised Manuscripts viewer is intended for research and study purposes only. More information on the reuse of images can be found here: http://www.bl.uk/copyrightstatement.html.


http://www.bibliotecalazarogaldiano.es/mss/Entrada_ListaTitulos.html

Man kann bei Handschriften mit Kommentaren an der Aufnahmeschärfe und der Auflösung ein wenig herummäkeln, aber es ist doch sehr erfreulich, dass viele Handschriften dieser entlegenen Sammlung, die auf den 1947 verstorbenen spanischen Sammler Lázaro Galdiano zurückgeht, online bereitstehen.

https://en.wikipedia.org/wiki/Museum_of_L%C3%A1zaro_Galdiano


Das 2014 erschienene wichtige Buch von Marco Rainini: Corrado di Hirsau e il “Dialogus de cruce”. Per la ricostruzione del profilo di un autore monastico del XII secolo, SISMEL - Edizioni del Galluzzo, Firenze 2014: xxvi + 436 (70 Euro) ist leider in deutschen Bibliotheken kaum verbreitet (im HBZ-Verbund ein einziger Nachweis in Düsseldorf!), was seiner Rezeption definitiv im Wege stehen dürfte. Open Access wäre in so einem Fall die bessere Lösung.

Die Gliederung des Buchs entnimmt man dem Inhaltsverzeichnis:

https://www.gbv.de/dms/casalini/2958335.pdf

Die Rezension in der Revue Bénédictine

http://dx.doi.org/10.1484/J.RB.5.107617

ist mir nicht zugänglich.

Rainini hat drei frühere Studien (2008, 2009, 2010) in überarbeiteter Form in die Monographie aufgenommen, die sich vor allem mit dem im Clm 14159 überlieferten "Dialogus de cruce" befasst, den Rainini überzeugend dem von mir Peregrinus Hirsaugiensis genannten, als Konrad von Hirsau bekannten Autor zuweisen kann.

Digitalisat der Handschrift:

http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00018415/image_1

Der erste Teil widmet sich der Zuschreibung des Werks, dem Autor und der Chronologie seiner Werke, während im zweiten Teil die wichtigsten theologischen Konzepte des Dialogus erörtert werden. Der dritte Teil behandelt die Quellen des Autors und versucht eine Einordnung in das theologische Spektrum des 12. Jahrhunderts. Als Ganzes ist Raininis Studie ein sehr willkommener Beitrag zur monastischen Literatur des 12. Jahrhunderts und in Sachen "Konrad von Hirsau" ein entscheidender Fortschritt.

Eine Würdigung des theologiegeschichtlichen Ertrags muss Berufeneren vorbehalten bleiben. Ich muss mich auf eine Anmerkung zur Autorenfrage und einige kleinere ergänzende bzw. korrigierende Notizen beschränken.

S. XIII Das Siglum VI (De veritatis inquisitione) ist unpassend für die Sentenzensammlung, die man als "Sententiae morales" (SM) bezeichnen sollte.

S. 6 Anm. 3: Das Stammheimer Missale befindet sich seit 1997 im Getty-Museum
http://archiv.twoday.net/stories/629755469/

S. 52 Die Signatur der wichtigen Leipziger Handschrift lautet "Ms. 148" nicht "Cod. Theol. 148".
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/dokumente/html/obj31560845

S. 55 Die Neustifter Handschrift des Dialogus super autores hat sehr wohl eine Signatur, nämlich "Cod. 360".
http://manuscripta.at/?ID=35471

S. 217-220 Zu Werner von St. Blasien habe ich eine ausführliche Korrektur veröffentlicht
http://archiv.twoday.net/stories/1022414583/

S. 238f. Zum Diagramm "Homo constat ex carne": Bei der handschriftlichen Überlieferung ist ULB Darmstadt, Hs. 812 nicht berücksichtigt. Abbildung:
http://archivalia.tumblr.com/post/73965301565/peregrinus-conradus-hirsaugiensis-homo-constat

S. 395 Im Literaturverzeichnis ist ein bedeutender Aufsatz von Bernards "Um den Zusammenhang" fälschlich Bultot zugewiesen worden (korrekt in den Fußnoten).

Nun zur Autorenfrage.

Rainini hätte die Aufgabe gehabt, alle Indizien für die Ordenszugehörigkeit des Autors zusammenzutragen, was er aber unterlassen hat. Er weist darauf hin (S. 36, 75), dass im Dialogus de mundi contemptu, einem Dialog zwischen Mönch und Kanoniker, die monastische Lebensform als überlegen gewertet wird, nennt aber nicht das von Seyfarth (Einleitung zum Speculum virginum, CCCM V, S. 43*) leichthin weggewischte Zeugnis, dass im Speculum virginum (SV) Benedikt als sanctus pastor noster genannt und die Dialogpartnerin Theodora als Benediktinerin gedacht wird.
http://archiv.twoday.net/stories/1022473555/

Soll ich das wirklich tadeln? Es gibt mir doch Gelegenheit, erstmals den Befund aus dem Dialogus super auctores in diesen Strang der Konrad-Literatur einzubringen. Die Sekundärliteratur zu Konrads "Literaturgeschichte" hat - ohne die Debatten um die Autorschaft groß zur Kenntnis zu nehmen - den Dialogus super auctores (DSA) in einer benediktinischen Klosterschule, insbesondere in Hirsau situiert. Der Schüler lebt nach den Worten des Textes (wie Theodora) nach der Benediktsregel, da auf eine Übernahme aus Terenz "in Regula tua" verwiesen wird (ed. R. B. C. Huygens: Accessus ad auctores, 1970. S. 117 Zeile 1418). Diese Stelle registrierten Leslie G. Whitbread: Conrad of Hirsau as Literary Critic. In: Speculum 47 (1972), S. 235 und Terence O. Tunberg: Conrad of Hirsau and His Approach to the Autores. In: Mediaevalia et Humanistica NF 15 (1987), S. 67. Beide machten zusätzlich darauf aufmerksam, dass das Interesse des Autors an den Todesdaten von Petrus und Paulus mit dem Patrozinium der Hirsauer Klosterkirche erklärt werden könnte (Whitbread S. 235; Tunberg S. 80). Nicht ohne Gewicht erscheint mir die Beobachtung von Rainer Kurz: Zu Konrads von Hirsau "Dialogus super auctores" 590 über das Leben des Sedulius. In: Mittellateinisches Jahrbuch 14 (1979), S. 265-272, dass der Autor eine Reichenauer Handschrift oder eine Abschrift davon benutzt hat. Literarische Beziehungen Hirsaus zu Reichenau spiegeln sich im Hochmittelalter etwa in einer hypothetischen Überlieferungskette Reichenau-Hirsau-Schaffhausen bei einer Schaffhausener Handschrift, auf die Felix Heinzer hinwies:

https://books.google.de/books?id=DCKY2941XFQC&pg=PA99

Sowohl das Interesse an Petrus und Paulus als auch der Reichenauer Bezug können natürlich nicht beweisen, dass "Peregrinus" tatsächlich in Hirsau schrieb; das argumentative Gewicht dieser Indizien ist zwar nicht zu vernachlässigen, aber gering.

Das gilt auch für wörtliche Übernahmen aus der Benediktsregel (laut Register zu Benedetto da Norcia von Rainini S. 71, 300 angesprochen).

Auf die monastische Situierung des Dialogus de cruce und eine Erwähnung der Mainzer Kirchenprovinz (zu der z.B. Andernach definitiv nicht gehörte) weist Rainini S. 36f. hin.

Sowohl im Speculum virginum als auch im Dialogus super auctores beruft sich "Peregrinus" in einer Weise auf die Benediktsregel, die einen Schluss auf die eigene Ordenszugehörigkeit erlaubt. Im Dialog zwischen Mönch und "Matricularius" steht er auf der Seite des Mönchs. Angesichts dieses Befunds ist es aus meiner Sicht nicht zulässig, Seyfarths Vermutung, ein rheinischer Regularkanoniker sei "Peregrinus", als ernsthafte Möglichkeit weiter in Betracht zu ziehen.

(Ob man aus dem Autorenbild, das einen Mönch oder einen Kanoniker zeigt, siehe etwa "L":

http://archivalia.tumblr.com/post/59673364631/peregrinus-conradus-hirsaugiensis-speculum

Schlüsse ziehen kann, müssen Spezialisten für klösterliche Tracht entscheiden. Eine Mail-Anfrage von mir bei Frau Professorin Nilgen blieb unbeantwortet.)

Alles deutet daher auf einen Benediktinermönch, wenngleich auch die Zisterzienser nach der Benediktsregel lebten und Benedikt als Vater des Mönchtums verehrten.

Die älteste Überlieferung der Vollhandschriften des Speculum virginum hat ein deutliches zisterziensisches Profil, benediktinische und Regularkanoniker-Provenienzen treten deutlich zurück.

Von einer der beiden hochmittelalterlichen Handschriften des DSA kennt man den mutmaßlichen Schreibort St. Stephan in Würzburg OSB.
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0084_b006_jpg.htm

Der Dialogus de cruce stammt aus Regensburg St. Emmeram OSB, und im Regensburger Benediktinerkonvent in Prüfening befand sich, worauf Rainini S. 12 hinweist, im 14. Jahrhundert eine Handschrift des Speculum virginum.

Eine Schriftensammlung des Peregrinus nannte man in Eberbach OCist "Peregrinus minor" (Rainini S. 34). Der Peregrinus maior war dann sicher das Speculum virginum, dessen älteste (Londoner) Handschrift aus Eberbach stammt.

S. 202-204 erwägt Rainini, Felix Heinzer folgend, ob das Schaubild "Lamm Gottes" im ca. 1140/60 zu datierenden Kollektarium aus Zwiefalten OSB (WLB Stuttgart Cod. brev. 128, Bl. 10r) ebenfalls von Konrad oder einem Schüler stammt. Digitalisat:

http://digital.wlb-stuttgart.de/purl/bsz33972076X/page/21

Auch im Kapitelsoffiziumbuch (um 1162) dieser Hirsauer Gründung wollte Heinzer eine Abbildung auf das Speculum virginum zurückführen.

http://www.persee.fr/web/revues/home/prescript/article/ccmed_0007-9731_2001_num_44_176_2809 (S. 339)
https://www.freidok.uni-freiburg.de/data/8216 (S. 139)
http://digital.wlb-stuttgart.de/purl/bsz349406464/page/179 (Digitalisat)

Wenn man also den Blick weitet und nicht nur das SV einbezieht (wobei bei De fructibus - FCS - meine diesbezügliche Zusammenstellung noch nicht veröffentlicht ist), kann man von der frühen Verbreitung einen benediktinischen Entstehungskontext nicht ausschließen. Eher unwahrscheinlich sind die Regularkanoniker. Allerdings sollte man unterstreichen, dass aus Verbreitungsdaten methodisch schlüssig nicht auf den Entstehungskontext geschlossen werden darf. Sie liefern allenfalls einen gewissen Anhaltspunkt.

Könnte "Peregrinus" nicht ein Zisterzienser gewesen oder in diesen Orden übergetreten sein? Schließlich schrieb um 1140 Papst Innozenz II. Zisterzienseräbten im Einzugsbereich von Hirsau, dass sich der Hirsauer Abt Volmar beklagt hätte, sie hätten aus Hirsau entlaufenen Mönchen Zuflucht gewährt.

https://books.google.de/books?id=DCKY2941XFQC&pg=PA409 (Heinzer)

Ein Gegenargument sind die Datierungen seines Werks, wenn man sie mit der Ausbreitung des Zisterzienserordens korreliert. Wenn De fructibus (FCS) tatsächlich nicht später als 1133 entstanden ist, war das in der Überlieferungsgeschichte so wichtige Kloster Eberbach (Gründung 1136) noch gar nicht gegründet. Das niederrheinische Kamp wurde schon 1123 gegründet, aber man scheut trotzdem vor der Annahme zurück, dass ein monastischer Autor in der aufregenden Gründungsphase der deutschen Zisterzen die Muße für seine theologischen Schriften gefunden haben könnte.

Mit der Datierung der Werke befasst sich Rainini S. 51-56. Die Probleme liegen auf der Hand: die frühen Pergamenthandschriften sind nur ausnahmsweise hinreichend genau datierbar, zeitgeschichtliche Anspielungen und Textrezeptionen sind vielfach nicht hinreichend eindeutig anzunehmen. Daher beurteile ich die diesbezüglichen Resultate Raininis nicht so optimistisch wie er selbst. Der Befund gibt zu oft nur "weiche" Daten her.

Bei FCS kommt Rainini zu dem Schluss, dass die Hypothese einer Entstehung vor dem August 1133 plausibel bleibe - wie gern würde man ihm glauben und hätte dann einen festen Anker! Ganz sicher ist es natürlich nicht, dass man nachträglich und zeitgleich im August 1133 eine Sonnenfinsternis in das Leipziger Ms. 148 (aus Pegau OSB) eingetragen hat. [ http://archiv.twoday.net/stories/1022493888/ ] Die Salzburger Handschrift wird in der "offiziellen" Beschreibung mit Fragezeichen in das zweite Drittel des 12. Jahrhunderts datiert.
http://www.ubs.sbg.ac.at/sosa/handschriften/mi32txt.htm

Bei DMC und den anderen kleinen Schriften aus dem Eberbacher "Peregrinus minor" um 1200 ist eine nähere Datierung nicht möglich.

Die Benutzung von Werken Hugos von St. Viktor (S. 312-315) möchte Rainini bei dem DSA und der Altercatio (ASE) sowie dem DDC in einen terminus post quem ca. 1135 ummünzen. Bei der ASE überzeugt mich nicht, dass eine Anspielung auf den Kreuzzug 1147/48 vorliegen soll. Für den Dialogus de cruce (DDC) soll eine Benutzung eines Werks von Petrus Venerabilis einen Terminus post quem 1144 sichern.

Eine gewisse Sicherheit bei dem SV liefert allein die durch Cohen-Mushlin angenommene Datierung von Pal. lat. 565 auf ca. 1150/55. Mit Seyfarths paläographischer Datierung von Arundel 44 ca. 1140/50 fängt man nicht viel an. Übernahmen aus Bernhard von Clairvaux, die eine Datierung nach 1139 nahelegen (S. 62), sind wohl nicht hinreichend gesichert. Wie Seyfarth datiert Rainini das Speculum virginum in die beginnenden 1140er Jahre.

Nach der Tabelle S. 72 entstand De fructibus wahrscheinlich vor 1133 und das Speculum virginum vor 1150/55. Mit Vorbehalt akzeptiere ich auch die Datierungen für DSA nach 1135 und DDC nach 1144. "Peregrinus" wirkte also nachweislich im zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts, was gut zur Aussage des Trithemius passt: "Claruit sub Conrado imperatore tertio. Anno Domini 1140" (Scr. eccl., zitiert von Rainini S. 28, 51). Zunächst hatte Trithemius aber die Zeit um 1100 angesetzt. Angesichts der Übereinstimmung mit den einigermaßen gesicherten Daten wird man das Zeugnis des Trithemius nicht ohne weiteres verwerfen dürfen.

Zu den Nennungen von Peregrinus bzw. "Konrad von Hirsau" bei Trithemius hätte Rainini (S. 27) nicht darauf verzichten dürfen, die Erörterungen und Textmitteilungen Valentin Roses 1893 zu zitieren:

http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0709_c0137_jpg.htm

Rainini zitiert zwar S. 38 meinen Beitrag von 2013 zu den Hirsauer Inschriften

http://ordensgeschichte.hypotheses.org/5502 (= Graf 2013)

zu dem Basellius-Zeugnis, aber weder hat er meine Argumentation erschöpfend verwertet noch kann der Leser seinem Zitat entnehmen, dass ich mich dort umfangreich mit dem Konrad-Problem auseinandersetzt habe. Ich muss also nochmals die Sachlage erörtern, wobei ich für Belege weitgehend auf den Beitrag von 2013 und Raininis Monographie verweise.

(Meine Konrad-Studien entstanden in den frühen 1990er Jahren. Von Raininis bahnbrechendem Aufsatz von 2009 erfuhr ich erst - dank der liebenswürdigen Zusendung durch Pater Rainini, dem ich auch für das Exemplar seines Buches zu danken habe - nach der Veröffentlichung meines Beitrags von 2013 mit dem Konrad-Exkurs.)

Die textimmanenten Hinweise auf einen benediktinischen Autor passen gut zur Hirsauer Tradition, die einen geistlichen Schriftsteller Peregrinus als Mönch des eigenen Klosters kennt - und zwar schon vor Trithemius.

1. Hieß Peregrinus Konrad?

Seyfarth hat in ihre SV-Ausgabe die sich auf den Autor, der sich sonst mit dem Pseudonym Peregrinus bezeichnet, beziehende Initiale C gesetzt (Erörterung bei Rainini S. 38-41). Von C auf Conradus zu kommen, ist außerordentlich naheliegend. Diesen Schluss zu ziehen darf man Trithemius nicht anlasten - vorausgesetzt, er hatte keine anderen alten Informationen zu Konrad von Hirsau.

Rainini legt zuviel Wert auf den Eintrag "Hhunradus" in der Salzburger Handschrift M I 32 (S. 41-43). Dass sich das auf den Autor von FCS bezieht, ist nur eine von mehreren Möglichkeiten und scheint mir auch nicht notwendigerweise die wahrscheinlichste - für mich kein wirklich tragfähiges Argument.

Ein von Trithemius unabhängiges Zeugnis, dass "Peregrinus" Konrad hieß, existiert nicht (bzw. das Salzburger Zeugnis wiegt zu leicht). Da Trithemius sich geirrt haben kann oder den Namen lediglich aus der Initiale C abgeleitet, bevorzuge ich weiterhin den Namen Peregrinus Hirsaugiensis. Ich meine aber, darin Rainini zustimmend, dass man den Autor des SV und der weiteren Werke wahrscheinlich Konrad von Hirsau nennen darf.

2. Der Hirsauer Bibliothekskatalog aus dem Hochmittelalter

Johannes Parsimonius schrieb den alten Bibliothekskatalog aus der verlorenen Handschrift A ab, die nicht nur Mittelalterliches enthielt (Graf 2013 zu Nr. 213). Viel Staat ist mit den 37 Nummern nicht zu machen

http://archive.org/stream/catalogibibliot00beckgoog#page/n230/mode/2up
nach Lessing
http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/vd18/content/pageview/4023022

Eine Auswertung versucht Rainini S. 283-285. Die tradierte Datierung um 1165 ist natürlich Unsinn. Sie stützt sich auf die mit dem 1165 verstorbenen Abt Mangold endende Liste der Äbte in der Vorbemerkung. Die Formulierung "sub praedicto patre Wilhelmo" zeigt aber, dass sie von dem Redaktor des Codex A oder sogar von Parsimonius stammt, also für die Datierung des eigentlichen Bibliotheksverzeichnisses streng genommen nicht das geringste besagt. Die Erwähnung von Hugo von St. Viktor De sacramentis liefert auch hier einen Terminus post quem 1135 für das offensichtlich im 12. oder 13. Jahrhundert zusammengestellte Bücherverzeichnis, das wir nur in kursorischer Zusammenfassung haben, da der Redaktor am Ende sagt, er habe von vielen Büchern Titel und Autoren nicht aufzeichnen wollen ("nolui huc scribere").

Natürlich ist es angesichts der nach-trithemianischen Datierung denkbar, dass der Peregrinus später interpoliert wurde, aber konkrete Anhaltspunkte gibt es nicht. Man darf also getrost davon ausgehen, dass ein hochmittelalterliches Hirsauer Zeugnis einen Hirsauer Mönch Peregrinus belegt, der schriftstellerisch tätig war.

3. Zeugnisse für Peregrinus in Hirsau vor Trithemius

Rainini zitiert S. 38 das von mir beigebrachte Testimonium aus dem Bonner Cod. S 310 Bl. 154r: "omnes uiri insignes, ab eorum collegio nequaquam retraendus est Peregrinus, uir utique egregius: hic eleganti tum Veteris tumque Novi Testamenti dogmate decorauit eram" (anders lese ich die Stelle auf meiner Kopie auch nicht). Rainini gibt aber nicht die von mir begründete genauere Datierung des Werks des Nikolaus Basellius, das Trithemius zur Verfügung gestellt wurde: 1490/95 (Wasserzeichen: 1488/92). Der Eintrag zeigt, dass man schon vor Trithemius von einem Hirsauer Mönch Peregrinus wusste, der Bibelstudien betrieben hatte. Außerhalb von Hirsau wusste der Augsburger Benediktiner (und Thierhauptener Abt) Petrus Wagner (sein Name fehlt leider im Namensregister von Rainini), dass ein Hirsauer Mönch Peregrinus viel geschrieben habe. Die Datierung ist unsicher, vermutlich 1493 (S. 35).

Das alles beweist nicht, dass der Hirsauer Schriftsteller Peregrinus auch jener Autor Peregrinus war, der das SV und die weiteren Werke verfasste.

Entscheidend ist nun - auch dafür interessiert sich Rainini S. 35f. nicht - die von mir 2013 angesprochene Datierung der Dormitoriums-Balken in das Jahr 1480. Sie wiesen ja unzweifelhaft Zitate eines "Peregrinus", der der SV-Peregrinus sein muss, auf - laut der Abschrift des Parsimonius in der Wolfenbütteler Handschrift und auch im Tübinger Mh 164 (aus dieser Handschrift von Bernards ediert). Ich sah keinen Anlass, Neumüllers-Klauser zu widersprechen, die bei Nr. 131 ihres Inschriftenbandes 1480 datierte, eine Jahreszahl, die auf Trithemius zurückgeht.

Bezweifelt man (ohne stichhaltigen Grund) die Datierung des Dormitoriums auf 1480 durch Trithemius oder die gleichzeitige Anbringung der Inschriften in diesem Innenraum, so entfiele dieses entscheidende vor-trithemianische Zeugnis, dass der Peregrinus des SV und der Peregrinus der Hirsauer Tradition in Hirsau als identisch angesehen wurden. Dem Ersteller der Inschriften lag das SV und ein nicht identifiziertes Werk des Peregrinus vor.

4. Texte und Bilder des Peregrinus in Hirsau

Neben den SV-Zitaten in den Dormitoriumsinschriften (samt einem Zitat aus einem unbekannten Peregrinus-Werk) ist vor allem die Abschrift der ASE durch den Hirsauer Mönch Johannes Rapolt 1511 zu nennen (S. 45f.). Sie würdigt Konrad von Hirsau nach Trithemius und soll einer Matricularius genannten Handschrift entnommen worden sein. Die Bezeichnung Matricularius ist der Titel von DMC. Wenn keine Verwechslung vorliegt, war also auch DMC in Hirsau vorhanden. Ich stellte mir die Frage, wie Rapolt überhaupt wissen konnte, dass ASE ein Werk von Conradus alias Peregrinus sei, denn in den gedruckten und ungedruckten Werklisten des Trithemius (S. 27 ab Anm. 13 zitiert) fehlt ASE. Es erscheint erst in den auf Trithemius zurückgehenden Inschriften des Sommerrefektoriums von 1517/21 (zitiert S. 47 Anm. 105 aber nicht nach der Wolfenbütteler Handschrift, sondern nach Lessings Wiedergabe derselben, die ich nach dem Erstdruck verlinke

http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/vd18/content/pageview/4023033 ).

Außerdem gab es im nach 1543 mit Wandgemälden ausgestatteten Hirsauer Abtshaus Bäume der superbia und der humilitas, die womöglich auf das SV oder ein anderes Peregrinus-Werk zurückgingen (Graf 2013 nach Neumüllers-Klauser Nr. 219).

Gab es im Hochmittelalter mehrere Werke des SV-Peregrinus und trifft die Datierung der Dormitoriums-Inschriften auf 1480 zu, so erscheint der Schluss berechtigt, dass der Peregrinus des Hirsauer Bibliothekskatalogs aus dem Hochmittelalter mit dem SV-Peregrinus identisch ist, also Peregrinus Hirsaugiensis das Speculum virginum, den Dialogus de cruce und die weiteren Schriften verfasste.

Dass es in der Hirsauer Bibliothek Schriften des SV-Verfassers Peregrinus und daneben Schriften eines Hirsauer Mönchs Peregrinus gab, die man womöglich am Ende des 15. Jahrhunderts zusammengeworfen hat, halte ich für höchst unwahrscheinlich.

Wenn aber nun Trithemius im Rheinland auf die Schriften des Augustinerchorherrn (?), der nach Bernards und Seyfarth das SV verfasst haben soll, stieß und diese in Abschrift nach Hirsau verfrachtete, da er überzeugt war, dass der Hirsauer Peregrinus und der SV-Peregrinus identisch seien? Dann müsste man nur die Datierung der Dormitoriums-SV-Zitate auf 1480 beseitigen. Die fälschende Interpolation des Bibliothekskatalogs wäre unnötig, denn der dort genannte Peregrinus hat ja nicht notwendigerweise etwas mit dem SV-Verfasser zu tun.

Für eine solche finstere Machenschaft fehlen jegliche konkreten Anhaltspunkte! Ich bin niemand, der dazu neigt, die Fälschungen des Trithemius zu beschönigen und teile mit Blick auf "Haymo von Halberstadt" auch nicht Klaus Arnolds optimistische Einschätzung, die literaturgeschichtliche Arbeit des Sponheimer Abts sei "sauber". Aber des Trithemius Angaben zu Peregrinus und ab 1495 Konrad von Hirsau sind bemerkenswert präzise. Seine Textanfänge ermöglichten ab dem Ende des 19. Jahrhunderts die Identifizierung der handschriftlichen Texte. Nur den Trithemius unbekannten Dialogus erkannte erst Rainini als Peregrinus-Werk.

Rätselhaft ist, wie Trithemius (eventuell unterstützt durch Hirsauer Mitarbeiter) die einzelnen Werke aus dem Peregrinus-Oeuvre zusammenführen konnte. Es wäre doch etwas naiv anzunehmen, dass es in einer alten Klosterbibliothek eine Reihe von Bänden gab, in denen die einzelnen Werke ein "Explicit liber Peregrini monachi" o.ä. trugen. In Eberbach konnte er das SV und die Texte des "Peregrinus minor" einander zuordnen. Vermutlich stammen auch die anderen Zuweisungen aus solchen heute verlorenen Autorensammlungen. Möglicherweise lag Rapolt in Hirsau 1511 eine solche Sammlung vor, die außer dem abgeschriebenen ASE auch den Matricularius = DMC enthielt.

Insgesamt ergibt sich eine Bestätigung der These von Rainini, wonach der Benediktiner Konrad von Hirsau, der - wie Trithemius angab - um 1140 lebte, das Speculum virginum, den Dialogus de cruce und die weiteren Werke verfasst habe. Die 1480 zu datierenden SV-Zitate im Hirsauer Dormitorium sichern neben der wohl auf eine hochmittelalterliche Hirsauer Handschrift zurückgehenden Altercatio-Abschrift Rapolts von 1511 die Gleichsetzung des im hochmittelalterlichen Bibliothekskatalog erwähnten Hirsauer Mönch Peregrinus mit dem Verfasser des Speculum virginum ab.

Deutlicher als Rainini kann ich die Zugehörigkeit des Peregrinus, der das SV und die anderen Texte verfasste, zum Benediktinerorden plausibel machen. Die von Rainini nicht berücksichtigten handschriftlichen Überlieferungsverhältnisse widersprechen dieser Zuweisung keineswegs - wenn man nicht nur das SV berücksichtigt. Dass Peregrinus Regularkanoniker war, darf man - gegen Seyfarth - wohl ausschließen. Nur weil das SV in Zisterzen gern gelesen wurde, muss er kein Zisterzienser gewesen sein. Stammt das Lamm-Schaubild in der sehr frühen Zwiefalter Handschrift tatsächlich von Peregrinus, so verweist das mit Nachdruck auf den nächsten Umkreis Hirsaus.

Als Peregrinus schrieb, hatte die Hirsauer Reform deutlich an Vitalität und Attraktivität verloren. Die Mühen der Forschung mit seinem Werk beweisen eines: Von einer spezifisch "hirsauischen" Geistigkeit kann bei Peregrinus überhaupt keine Rede sein. Die theologischen Konzepte von Benediktinern, Regularkanonikern und Zisterziensern unterschieden sich damals nicht in einer Weise, die es dem Forscher ermöglicht, einen theologischen Text klar und zweifelsfrei zuzuweisen. Peregrinus stand den theologischen Positionen nah, die in allen drei Gruppen vertreten wurden (auf Raininis Studien zu den "moderni" S. 303-341 sei verwiesen).

#forschung


BNF Lat. 3503

http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b10721197s/f5.item

Zu diesem Werk siehe meine Miszelle:

Klaus Graf: Der Zisterzienser Adam von Perseigne und das Speculum virginum. In: Ordensgeschichte vom 8. September 2013
http://ordensgeschichte.hypotheses.org/5570

Perseigne, Adam von (OCist)
GND
http://beacon.findbuch.de/seealso/pnd-aks?format=sources&id=100935265

BLB Karlsruhe St. Blasien 77

http://digital.blb-karlsruhe.de/id/3007002

Die Dissertation von Marco Brösch 2011 ist online unter:

http://ubt.opus.hbz-nrw.de/volltexte/2015/921/

Mehrfach ist in der Sekundärliteratur zu lesen, dass Konrad von Hirsau, den ich ja als Peregrinus Hirsaugiensis bezeichne, zwar den 'Accessus ad auctores' und weitere Schriften verfasst habe, aber nicht notwendigerweise auch das 'Speculum virginum' (SV). Unglücklich formulierte im Verfasserlexikon (²5, 1985, Sp. 205) Robert Bultot unter Nr. 1 der Werkliste zum SV, die Verfasserschaft Konrads von Hirsau sei "noch nicht allgemein anerkannt". Richtig ist: Es unterliegt keinem Zweifel, dass alle dort aufgeführten Schriften demselben geistlichen Autor angehören, also auch das SV. Ob man diesen mit einem Hirsauer Benediktiner Konrad identifizieren darf, wird man wohl mit Marco Rainini: Corrado di Hirsau e il "Dialogus de Cruce". Florenz 2014 bejahen dürfen.

Die folgende Zusammenstellung knüpft an frühere Beiträge von mir zum SV an, siehe zuletzt:

http://archiv.twoday.net/stories/1022415045/

Die Überlieferung des "Speculum virginum" wurde von Jutta Seyfarth in ihrer Edition (CCCM 5, 1990) zusammengestellt. Bei der Überprüfung und Ergänzung der Angaben ist es nötig, Vollhandschriften und Exzerpthandschriften voneinander zu trennen und letztere von der Rezeption in eigenständigen Werken. Seyfarth hat dagegen 5 Gruppen gebildet (S. 56*-123*):

I. Lateinische Handschriften, die dem Stemma zugrundeliegen (10)
II. Lateinische Handschriften, die dem Stemma eingeordnet sind (19)
III. Auszüge, Fragmente, Nachrichten über verschollene Handschriften (7)
IV. Handschriften mittelniederländischer, bzw. volkssprachlicher Übersetzungen (26)
V. Druckausgaben (2)

IV und V habe ich bereits bearbeitet, zu III habe ich schon Hinweise zu einzelnen Textzeugen publiziert. Gruppe I besteht nur aus Vollhandschriften (auch wenn im Einzelnen Textverlust vorliegt), während aus Gruppe II (19 Handschriften) fünf Handschriften (E, Fl = St. Florian CSF XI, 370, Me = Melk 2, Pe, Re= Reims 611) als Exzerpt-Überlieferung zu entfernen sind. E und Pe überliefern einen eigenständigen Text als Ableitung des SV, "De proprietate vitiorum et virtutum", für den ich zwei weitere Handschriften nachweisen konnte in:

http://archiv.twoday.net/stories/1022415045/

Von den 24 Vollhandschriften wies Matthäus Bernards bereits 23 nach. Seyfarth konnte nur C2 = Leipzig, UB, Ms. 666 beibringen. Eine bisher unbekannte Vollhandschrift ist mir noch nicht begegnet, Neufunde habe ich nur für die noch ausstehende Gruppe der Fragmente, Exzerpte und Nennungen in Bibliothekskatalogen o.ä.

Die Handschriftenliste ist ein einfacher Census, geordnet nach dem Alter der Handschriften. Hinter der Signatur stehen das Siglum bei Seyfarth und die Seitenzahl(en) ihrer Beschreibung. Signaturen von Einzelblättern werden nicht angegeben (das betrifft K und M). Verlinkt sind vor allem Digitalisate und Katalogeinträge. Angegeben ist die Datierung - in der Regel nach nach Seyfarth, deren paläographische Datierungen noch der Überprüfung harren (siehe ihre Fehldatierungen zu den beiden Leipziger Handschriften) - und die Provenienz.

Zu den Bildern muss auf die Angaben bei Seyfarth S. 133* und 137* und bei den jeweiligen Handschriften verwiesen werden. Zu den Handschriften der Gruppe I gibt es S. 134* eine Tabelle zu den genauen Blattangaben der 12 großen Bilder, die Seyfarth wie folgt benennt:

1: Wurzel Jesse
2: Mystisches Paradies
3: Lasterbaum
4: Tugendbaum
5: Humilitas-Superbia
6: Quadriga
7: Kluge und Törichte Jungfrauen
8: Drei Grade
9: Fleisch und Geist
10: Aufstieg auf der Leiter
11: Maiestas domini
12: Weisheitstempel

Außerdem gibt es kleine Autorenbilder von Peregrinus und Theodora sowie Handzeichen für die drei Stände. Bild 11 zeigt den Autor vor dem Weltenherrscher.

Komplette Bebilderung registrierte Seyfarth für: L, K, T 1, B, Z (aus Gruppe 1), D1, D2 (aus Gruppe 2). Raum für nicht ausgeführte Bilder war vorgesehen in: W, A2, Dü, P. Ganz ohne den Bilder-Zyklus blieben nur F und O, aber selbst diese Handschriften sind mit je einer Federzeichnung illustriert.

Der Bilderzyklus wurde also von den Schreibern als wichtige Beigabe zum Text aufgefasst, der in den meisten Handschriften wenigstens in lückenhafter Form erhalten blieb.

Vollhandschriften des Speculum virginum

[1] London, BL, Arundel 44 (L, S. 56*-60), 1140/50, aus Eberbach OCist
Beschreibung und Bilder:
http://www.bl.uk/catalogues/illuminatedmanuscripts/record.asp?MSID=7952&CollID=20&NStart=44

[2] Köln, HA, W 276a (K, S. 60*-63), Mitte 12. Jahrhundert, wahrscheinlich aus dem Augustinerchorfrauenstift St. Maria in Andernach
Digitalisat (SW-Mikrofilm)
http://historischesarchivkoeln.de/de_DE/dokument/1618872/Best.+7010+276A+
Joachim Vennebusch 1986
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0089_b157_jpg.htm
Zur Beziehung zu Maria Laach OSB
http://personendatenbank.germania-sacra.de/books/view/41/93

[3] Rom, BV, Pal. lat. 565 (V, S. 63*-65*), um 1155, aus dem Augustinerchorherrenstift Frankenthal
Digitalisat
http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_565

[4] Trier, Bistumsarchiv, 95/132 (M, S. 71*-75*), um 1200, aus St. Matthias in Trier OSB
Digitalisat
http://stmatthias.uni-trier.de/ bzw.
http://dfg-viewer.de/show/?set[mets]=http%3A%2F%2Fzimks68.uni-trier.de%2Fstmatthias%2FTBA0132%2FTBA0132-digitalisat.xml
Petrus Becker 1996
http://personendatenbank.germania-sacra.de/books/view/44/133

[5] Würzburg, UB, M.p.th. f. 107 (W, S. 76*f.), Ende 12./Anfang 13. Jh., aus Ebrach OCist
Hans Thurn 1970
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0082_b030_jpg.htm
Siehe auch den Katalog der Pergamenthandschriften in Ebrach von 1789:
http://hdl.handle.net/2027/nyp.33433069121923?urlappend=%3Bseq=192

[6] Troyes, BM, 413 (T2, S. 67*f.), Anfang 13. Jahrhundert, Skriptorium: Clairvaux (?), aus Mores OCist
Bilder (mit Datierung 1. Viertel 13. Jahrhundert):
http://initiale.irht.cnrs.fr/ouvrages/ouvrages.php?imageInd=1&id=4767

[7] Berlin, SB, Phill. 1701 (B, S. 68*f.), Anfang 13. Jahrhundert, aus Igny OCist
Valentin Rose 1893
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0709_c0133_jpg.htm (mit Wiedergabe des Widmungsbriefs und Erörterungen zum Verfasser)
Joachim Kirchner 1926
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0599_b0064_jpg.htm
Haenel 1830 schreibt das Speculum virginum der damals in Middlehill befindlichen Handschrift Hugo von Folieto zu. Damit ist mindestens einer der “alii” gefunden, denen der Katalog der Arundel-Handschriften 1840 diese Verfasserangabe zuweist, siehe Seyfarths Einleitung S. 50*.
http://hdl.handle.net/2027/nyp.33433069136749?urlappend=%3Bseq=452
So aber schon zur gleichen Handschrift ein Katalog 1769
http://books.google.de/books?id=Gk8VAAAAQAAJ&pg=PT111

[8] Zwettl, Zisterzienserstift, 180 (Z, S. 75*f.), 1. Drittel 13. Jh., aus Zwettl OCist
http://manuscripta.at/?ID=31791 (Peregrinus de Oppeln!)
http://wwwg.uni-klu.ac.at/kultdoku/kataloge/16/html/1338.htm (1. V. 13. Jh.)
Abschrift (18. Jh.) im Nachlass der Brüder Pez
Melk, Benediktinerstift, 395, S. 223-517
Digitalisat der Abschrift:
http://unidam.univie.ac.at/id/448686

[9] Baltimore, Walters Art Gallery, W 72 (H, S. 70*f.), Anfang bis Mitte 13. Jahrhundert, aus Himmerod OCist
Digitalisat
http://www.thedigitalwalters.org/Data/WaltersManuscripts/html/W72/description.html (1. Viertel 13. Jahrhundert)

[10] Leipzig, UB, 665 (C1, S. 82*f.), 3. Viertel 13. Jahrhundert (Seyfarth: Mitte 14. Jahrhundert)
Die Datierung aus der Beschreibung von Anette Löffler 2002, die mir die UB Leipzig freundlicherweise zur Verfügung stellte. Löffler: "Bislang vermutete Provenienz aus Altzelle nicht aufrechtzuerhalten (z.B. Fehlen der charakteristischen Besitzvermerke, kein Nachweis im Altzeller Bibliothekskatalog von 1514: das dort unter Pulp. O, Nr. 10 vermerkte SV ist Ms 820: Conradus de Saxonia, Speculum beatae Mariae virginis). Aufgrund Schrift und Illumination Entstehung in Mitteldeutschland wahrscheinlich; Schriftähnlichkeiten mit dem Landgrafenpsalter lassen an eine Entstehung in derselben Schreibschule denken." (Altzelle OCist!)
Robert Bruck 1906
https://archive.org/stream/diemalereieninde00bruc#page/232/mode/2up

[11] Leipzig, UB, 666 (C2, S. 83*-85*), 4. Viertel 13. Jahrhundert (Seyfarth: 1. Hälfte 14. Jahrhundert), aus Chemnitz OSB (Löffler: "Ms stammt aus dem Benediktinerkloster Chemnitz, vgl. radierter Besitzvermerk des 13. Jhs. (nur sehr schwer unter UV-Lampe erkennbar) auf 1v: Iste liber est sancte Marie uirginis et sancti Benedicti confessoris in Kemnicz").

[12] Arras, BM, 282 (A1, S. 78*f.), 2. Hälfte 13. Jahrhundert, aus St. Vedastus in Arras OSB
Catalogue général 1872
http://books.google.de/books?id=HYBWAAAAcAAJ&pg=PA374

[13] Troyes, BM, 252 (T1, S. 65*f), um 1300, aus Clairvaux OCist
Bilder:
http://www.enluminures.culture.fr/public/mistral/enlumine_fr?ACTION=CHERCHER&FIELD_98=REFD&VALUE_98='Troyes%20-%20BM%20-%20ms.%200252'&DOM=All
http://bvmm.irht.cnrs.fr/consult/consult.php?reproductionId=6755
Digitalisat (kaum benutzbar):
https://www.bibliotheque-virtuelle-clairvaux.com/manuscrits/
Die Handschrift war bereits online laut
http://www.univ-nancy2.fr/MOYENAGE/UREEF/MUSICOLOGIE/CMN/FT.htm

[14] Prag, Metropolitankapitel, N 23 (P, S. 98*f.), Mitte 14. Jahrhundert, aus dem Augustinerchorherrenstift Glatz
Anton Podlaha 1922
http://147.231.53.91/src/index.php?s=v&cat=36&bookid=367&page=405

[15] Mainz, StadtB, II 173 (F, S. 90*-92*), 1. Viertel 15. Jahrhundert
Abbildung der Federzeichnung Bl. 256v:
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Aus_dem_Haupt_Christi_erwachsen_die_sieben_Geistesgaben.jpg

[16] Burgsteinfurt, SchlossB bzw. Bentheim’sches Archiv, C 35 (S, S. 101*f.), 1430, aus dem Augustinerchorherrenstift Frenswegen
Signatur (Seyfarth: Cod. 4) nach Irene Stahl 1994
http://books.google.de/books?id=7K_1EoPIYtoC&pg=PA41

[17] Burgo de Osma, Kathedralbibliothek, 53 (Bu, S. 81*), 1434, geschrieben wahrscheinlich in Spanien
Timoteo Rojo Orcajo 1929
http://bibliotecadigital.jcyl.es/i18n/catalogo_imagenes/grupo.cmd?path=10068716

[18] Innsbruck, UB, 742 (I, S. 94*f.), 1437, geschrieben von “Johannes de Aschaff rector Odernhemensis ecclesie” (Gau-Odernheim), Frankfurter (?) Einband
http://manuscripta.at/?ID=29414

[19] Darmstadt, ULB, 529 (D1, S. 85*f.), Westdeutschland (?), um 1460
Kurt Hans Staub 1979
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0015_a144_JPG.htm

[20] München, SB, Clm 3561 (O, S. 96*-98*), 1461 von Sigismund Gossembrots Hand, der auch einen Teil des Speculum virginum schrieb, Niederschrift in Augsburg
Erwin Rauner
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/dokumente/html/obj31722731
Rehm 1994
http://bookview.libreka.de/bookviewer/9783873204287/151
Digitalisat (SW):
http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00103127/image_9

[21] Darmstadt, ULB, 738 (D2, S. 86*f.), Ende 15. Jahrhundert, aus dem Birgittenkloster Sion in Köln
Kurt Hans Staub 1979
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0015_a172_JPG.htm
Die in diesem Kloster lebenden Zisterzienserinnen nannten ihr Kloster im Mittelalter auch Speculum virginum!

[22] Düsseldorf, ULB, B 124 (Dü, S. 87*f.), dieser Teil um 1500, aus dem Kreuzherrenkloster Düsseldorf
Digitalisat:
http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/man/content/titleinfo/6271196 (mit Link zum Eintrag im gedruckten Katalog von Agata Mazurek und Joachim Ott 2011)
-
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/dokumente/html/obj31181180

[23] Köln, HA, GB 2° 155 (G, S. 93*f.), um 1520, aus dem Kreuzherrenkloster Köln
Joachim Vennebusch 1976
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0037_b127_JPG.htm
Digitalisat (SW-Mikrofilm)
http://historischesarchivkoeln.de/de/lesesaal/verzeichnungseinheit/171982/Best.+7002+155

[24] Arras, BM 916 (A2, S. 79*f.), 1628 aus St. Vedastus in Arras OSB, Abschrift von A1
Catalogue général 1872
http://books.google.de/books?id=HYBWAAAAcAAJ&pg=PA281

Auswertung

Komplettdigitalisate gibt es für acht der 24 Vollhandschriften. Zu Leipzig 665 ist ein Digitalisat angekündigt.

Aus der Zeit vor 1200 stammen die ersten drei Handschriften, vielleicht auch Nr. 4. Seyfarth hat sich dagegen entschieden, in der Londoner Handschrift L ein Autograph des Verfassers zu sehen. Das wurde in der Forschung akzeptiert, aber nicht kritisch überprüft. Felix Heinzer hat seine Vermutung, es handle sich bei L um ein Produkt des Hirsauer Skriptoriums, zurückgezogen.

Dreizehn Handschriften sind bis ca. 1300 entstanden, eine stammt aus dem 14. Jahrhundert. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurden vier Handschriften geschrieben, in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und bis ca. 1520 fünf. Eine späte Abschrift entstand 1628.

Die Wiederentdeckung des Textes im 15. Jahrhunderts stand im Zeichen der "devotio moderna". Siehe auch

http://archiv.twoday.net/stories/1022385921/

Die heute in Burgsteinfurt befindliche Handschrift entstand im Stift Frenswegen der Windesheimer Chorherren. Aus dem Köln-Düsseldorfer Raum stammen von diesen fünf späten Handschriften drei. Eine schrieb Sigismund Gossembrot

http://beacon.findbuch.de/seealso/pnd-aks?format=sources&id=103086838

in Augsburg. Dem Stemma bei Seyfarth S. 130* zufolge gehört seine Handschrift zu einer Gruppe mit Innsbruck (I) und Mainz (F) - sie gehen auf H zurück. Ebenso stehen sich D2 (Köln) und Dü (Kreuzherren Düsseldorf) nahe, während D1 mit C1 und C2 zu einer ganz anderen Handschriftengruppe gehört. Zu wieder einer anderen Gruppe gehört das aus dem Kölner Kreuzherrenkloster stammende G (Ableitung von K). Es ist aber sicher kein Zufall, dass die wichtige Textsammlung zu Peregrinus Hirsaugiensis/Konrad von Hirsau im Kölner Cod. GB 4° 206

http://historischesarchivkoeln.de/de/dokument/1515357/Best.+7004%2B206%2B

(sie entspricht in etwa dem Eberbacher "Peregrinus minor") ebenfalls im Kreuzherrenkloster zu Köln entstand.

Von den bis ca. 1300 zu datierenden Handschriften sind fünf rheinländischer Provenienz, vier stammen aus Frankreich, zwei aus Sachsen/Mitteldeutschland und je eine aus Franken (Ebrach) und Österreich (Zwettl). Man muss allerdings beachten, dass bei diesen frühen Handschriften fast nie der Schreibort sicher feststeht. Gesichert ist für V das Skriptorium von Frankenthal. Bei T1 und T2 hat Goggin Niederschrift in Clairvaux vermutet.

Die Handschriften des 15./16. Jahrhunderts gehören überwiegend dem westdeutschen Raum an, was wieder auf die devotio moderna verweist. Der einzige Ausreißer (Gossembrot in Augsburg) ist aber eine Ableitung der Himmeroder Handschrift H.

Bei den ältesten Handschriften stellt sich natürlich die Frage, ob der heutige Überlieferungsbefund Schlüsse auf die Entstehung des Werks zulässt. Die erhaltenen Textzeugen bis ca. 1300 stammen nicht aus hirsauischen Klöstern (sieht man von Chemnitz ab) und auch nicht aus Schwaben. Es dominieren eindeutig die Zisterzienser und der mittelrheinische Raum. Dies muss aber keineswegs den Entstehungskontext bezeichnen. Bei den anderen Werken des Peregrinus sind die benediktinischen Bezüge deutlicher.

Dass K in Andernach entstanden ist (und auch das Werk, wie die italienische Wikipedia suggeriert:

Speculum virginum. (9 maggio 2015). Wikipedia, L'enciclopedia libera. Tratto il 15 settembre 2015, 00:11 da http://it.wikipedia.org/w/index.php?title=Speculum_virginum&oldid=72687933 ) ist alles andere als gesichert. Unterschlagen werden die deutlichen Hinweise auf das benediktinische Kloster Laach (siehe oben).

Wie voreingenommen Bernards 1951 die Frage anging, kann man dem Digitalisat

http://www.dilibri.de/rlb/periodical/pageview/219432

entnehmen. Seyfarth hat sich Bernards Ansichten angeschlossen und die Augustinerchorherren favorisiert. Glücklicherweise kam es mit den Arbeiten von Mews und dann von Rainini zu einer Rückkehr zu "Konrad von Hirsau". Die Aussage der Texte des Peregrinus-Korpus verweist auf einen Mönch als Autor, nicht auf einen Regularkanoniker, und im SV VIII Zeile 760 wird Benedikt als sanctus pastor noster angesprochen, dessen Regel für die Dialogpartnerin Theodora verbindlich ist (vgl. ²VL 9, Sp. 69).

Die Verbreitung der frühesten Handschriften legt eine Entstehung des SV im benediktinischen Kontext gewiss nicht nahe, sie schließt sie aber auch nicht aus. Vermutlich haben im 12. Jahrhundert Zisterzienser (die älteste Handschrift gehört provenienzmäßig nach Eberbach OCist!), Augustinerchorherren und Benediktiner bei der Verbreitung des SV eng zusammengearbeitet. Im 13. Jahrhundert scheinen vor allem die Zisterzienser Gefallen an dem Werk gefunden zu haben, wie auch die frühe Rezeption bei Abt Adam von Perseigne (ca. 1180/1220) zeigt:

http://ordensgeschichte.hypotheses.org/5570

#forschung

Zeichnung in der Mainzer Handschrift

http://archiv.twoday.net/stories/115271327/

 

twoday.net AGB

xml version of this page

xml version of this topic

powered by Antville powered by Helma