Der nassauische Historiker F.W.E. Roth war nach meiner Überzeugung einer der frucht- und furchtbarsten Quellenfälscher und historischen Hochstapler im 19./20. Jahrhundert. Aufbauend auf den Schöfferlin-Studien Walther Ludwigs 1987, der Roth eine eindeutige Fälschung nachweisen konnte, kam mir schon vor Jahren der Verdacht, Roth könne die von ihm edierten bzw. herangezogenen Dokumente zu den Mainzer Meistersingern gefälscht haben. Ich denke, ich kann diese und weitere Fälschungen plausibel machen und so die Beweislast umkehren: Wer künftig von Roth aufgrund nicht mehr vorhandener Quellen gemachte Aussagen verwerten will, muss ihre Echtheit nachweisen bzw. wahrscheinlich machen, wieso Roth sie nicht gefälscht hat.
Bei etwa 500 Publikationen Roths versteht es sich von selbst, dass meine Roth-Studien ein "work in progress" sind. Soweit mir Online-Nachweise bekannt sind, habe ich sie unter
http://de.wikisource.org/wiki/Ferdinand_Wilhelm_Emil_Roth
vermerkt. Die Liste fußt auf der BBKL-Liste, die wiederum auf Duchhardt (1972, Nachträge 1977) zurückgeht. Duchhardt konnte aber noch nicht die Sonderdrucke Roths kennen, die erst 1978 im Darmstädter Nachlass gelandet sind und die etliche Ergänzungen bieten (von mir noch nicht eingearbeitet).
I. Roths Leben und Arbeitsschwerpunkte
Heinz Duchhardt hat 1972 in den Nassauischen Annalen ein gründliches Lebensbild von Roth vorgelegt, zu dem er 1977 in der gleichen Zeitschrift Nachträge vorlegte.
GND
http://beacon.findbuch.de/seealso/pnd-aks?format=sources&id=116637633
Üblicherweise nannte sich Roth mit abgekürzten Vornamens-Initialen F.W.E., die nach seinem Willen mit Ferdinand Wilhelm Emil aufzulösen sind. Getauft wurde er lediglich auf den Namen Emil. Geboren am 6. August 1853 in Eltville, starb er am 8. Februar 1924 in Offenbach am Main. Seine Werke sind also schon seit längerem gemeinfrei.
Roth war Autodidakt und hatte keine akademische Ausbildung. Es ist sogar unbekannt, ob er einen Gymnasialabschluss hatte. Dass er in Freiburg im Breisgau 1877/78 eine Einführung in das Archivwesen erhielt, stützt sich nur auf eigene Angaben in einem Lebenslauf von 1919, den er der Darmstädter Bibliothek mit seinem Nachlass übergab. Der Sohn eines Gutsbesitzers konnte offenbar - zumal nach Antritt des väterlichen Erbes 1887 - das Leben eines begüterten Privatgelehrten führen und alte Handschriften und Drucke sammeln. Willkommen waren aber sicher auch die Honorare, die ihm von seinen vielen Publikationen zuflossen. Nur kurze Zeit stand Roth 1889 als Archivar in den Diensten des Grafen von Eltz. Daher nannte er sich häufig "Archivar a. D.". Roth lebte unter anderem in Frankfurt, Darmstadt, Wiesbaden, Geisenheim und Niedernhausen. Aufgrund einer Paranoia musste man ihn 1904 in die nassauische Heil- und Pflegeanstalt auf dem Eichberg einweisen, wo er viereinhalb Jahre blieb. Im Frühjahr 1912 war er nochmals dort (Duchhardt 1977).
Roth legte unzählige Publikationen vor, wobei er sich bei renommierten Publikationsorten (darunter auch der führenden mediävistisch-quellenkundlichen Zeitschrift, dem "Neuen Archiv" der MGH) meist auf den Zeitraum von Hochmittelalter bis zum 16. Jahrhundert beschränkte, während er in Artikeln zur nassauischen Orts- und Landesgeschichte, die in Heimatzeitschriften und Zeitungen erschienen, bis ins 19. Jahrhundert ausgriff.
Thematische Schwerpunkte waren:
- Erforschung der monastischen Spiritualität des Hoch- und Spätmittelalters, ausgehend von Frauen (Hildegard von Bingen, Elisabeth von Schönau) und Männern (Johannes Trithemius und andere) des rheinischen Raums
- Mitteilungen (einschließlich Editionen) aus damals noch unerschlossenen Handschriftenbeständen (Darmstadt, Mainzer Seminar- und Stadtbibliothek u.a.) und Roths eigener Sammlung
- Geschichte des Buchdrucks vor allem im 15./16. Jahrhunderts
- Biographisches zu Gelehrten der Mainzer Universität im 15./16. Jahrhundert
- Biographisches zu Autoren des 15./16. Jahrhunderts aus dem Feld der Botanik
Insgesamt ist der starke kulturgeschichtliche Einschlag von Roths Oeuvre unverkennbar.
Einen kleinen Eindruck soll die Liste zum Jahr 1913 vermitteln. Ich habe Notizen zu den handschriftlichen Quellen hinzugefügt.
Aus Handschriften der Mainzer Seminarbibliothek. In: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 38 (1913), S. 572-580 DigiZeitschriften
Zur Geschichte der protestantischen Kirche 1574-1628. In: Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, Jg. 1913, S. 47-56 Commons
Aus der Schad'schen Sammlung der Stadtbibliothek Ulm.
Gutenbergs, des Erfinders der Typographie, Tod und Begräbnisstätte. In: Wochenbeilage der Darmstädter Zeitung, Jg. 8, Nr. 8 vom 22.2.1913, S. 29f. ULB Darmstadt
Unter anderem Eintrag zu Gutenbergs Tod am 3. Februar 1468 in einem gedruckten Confessionale in Rheingauer Privatbesitz (verschollen)
Gutenbergstudien. In: Wochenbeilage der Darmstädter Zeitung, Jg. 8, Nr. 35 vom 30.8.1913, S. 137-139 ULB Darmstadt
Gutenbergstudien. In: Nassovia 14 (1913), S. 105-107 Commons, 117-119 Commons
Aus der Geschichte der Abtei Bleidenstatt, die Echtheit ihrer ältesten Urkunden. In: Nassovia 14 (1913), S. 153-156 Commons, 169-171 Commons, 183-185 Commons
Alois Henninger. Ein nassauisches Dichterleben. In: Nassovia 14 (1913), S. 205-208 Commons
Nikolaus Mohr (Maurus) aus St. Goarshausen (1503-1536). In: Nassovia 14 (1913), S. 252f. Commons
Aus den Predigten des Abts Ekbert von Schönau. In: Nassovia 14 (1913), S. 276f. Commons
Trier, Stadtbibliothek Cod. 299/1397
Heinrich Hembuche, Jakob von Eberbach und Matthaeus de Cracovia als literarische Freunde. In: Nassovia 14 (1913), S. 283-286 Commons
Unter anderem eine nicht näher bezeichnete Eberbacher Handschrift (siehe unten)
Es ist mir gelungen, alle diese Publikationen von 1913 online verfügbar zu machen (durch Nachweise von Digitalisaten und Erbetteln von solchen). Insgesamt fehlen noch einige seltene Monographien, ganz wenige Aufsätze in überregionalen Zeitschriften und ganz viele Aufsätze in den Heimatbeilagen von Zeitschriften. Manchmal dürfte nur der Darmstädter Nachlass Exemplare bieten. Dies ist insbesondere bei den wissenschaftlich-bibliographisch angelegten "Mitteilungen aus dem Antiquariat" (von Max Harrwitz in Berlin) der Fall, die Roth 1891 als Schriftleiter betreute. Auch kann man nur mit dem Kopf schütteln, dass der "Allgemeine Anzeiger für Druckereien" im wesentlichen nur in Wien nachweisbar ist.
http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg48531.html
Unabhängig von der Quellenproblematik ist der wissenschaftliche Wert seiner Studien aus heutiger Sicht eher gering einzuschätzen. Die Darstellung ist in der Regel spröde und deskriptiv. So ist die umfangreiche Geschichte der Familie von Eltz kaum lesbar und ähnelt eher einer Regestensammlung. Vielleicht noch am ehesten heute noch von Belang ist die Elisabeth von Schönau gewidmete Edition. Die schiere Fülle des Materials bietet natürlich heute noch mancherlei Anregungen für weitergehende Forschungen, die sich dann aber vorzugsweise an andere Quellen halten sollten.
Einige Urteile über Roths Arbeiten:
Ludwig Weiland wollte Roths "Fontes rerum Nassoicarum" trotz aller Mängel in der HZ die Achtung nicht versagen.
http://archive.org/stream/historischezeit27sybegoog#page/n347/mode/2up
Meyer von Knonau missfiel Roths Erstlingsschrift über Adolf von Nassau. Er fand, sie genüge ihrer Aufgabe "gar nicht".
http://retro.seals.ch/digbib/view?pid=szg-002:1882:7::78
Der Darmstädter Bibliothekar Adolf Schmidt urteilte 1890 über die im Vorjahr in den Romanischen Forschungen publizierten Mitteilungen aus der Hofbibliothek, die Arbeit sei "äusserst unzuverlässig und nur mit grösster Vorsicht zu benutzen".
http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k15864t/f547.image
Positiv rezensierte Philipp Strauch 1886 Roths Ausgabe der Werke Elisabeths von Schönau ("in allem wesentlichen lob"):
http://www.digizeitschriften.de/dms/img/?PID=PPN345204123_0030|log46&physid=phys464#navi
Für Funk in der Deutschen Litteraturzeitung fiel die Ausgabe dagegen "ungenügend" aus.
https://books.google.de/books?id=PuXjAAAAMAAJ&pg=PA140 (US)
Die Wiesbadener Stadtgeschichte fand wenig Anerkennung bei Friedrich Otto in den Jahresberichten der Geschichtswissenschaft 6 (1883), S. II, 110: “Wo dem Verfasser fremde Arbeiten nicht zu gebote stehen, ist das Buch höchst unzuverlässig und überall stösst man auf Irrtümer oder Missverständnisse, namentlich in Bezug auf die inneren Verhältnisse und die Entwicklung der städtischen Verfassung.”
http://books.google.de/books?id=IxbsAAAAMAAJ&pg=RA1-PA110 (US)
1974 bewertete Helmut Schoppa in seiner Geschichte der Stadt Wiesbaden das Buch nicht günstiger. Roth “legte eine Darstellung der Stadtgeschichte vor, die mit ihrer Lückenlosigkeit keine Wünsche offen ließe, wenn der Verfasser stets seine Quellen genannt hätte und wenn, was schwerer wiegt, seine Angaben der Nachprüfung standhielten. Die Forschung hat Roth indes derart vieler Irrtümer und Falschinterpretationen überführt, daß sein Werk heute nur noch mit größtem Mißtrauen in die Hand zu nehmen ist.”
https://www.google.de/search?tbm=bks&q="was+schwerer+wiegt+seine+angaben+der+Nachprüfung+standhielten.+**"
Yvonne Monsees in den Inschriften der Stadt Wiesbaden (2000), S. XXXIII: Roths "allgemein unkritischer und laienhafter Umgang mit historischen Quellen führte zu Lesefehlern und Fehlinterpetationen, so daß der Nutzwert seiner Wiesbadener Geschichtsschilderung extrem reduziert ist".
1972 schrieb Wolf-Heino Struck in der "Geschichte der Stadt Geisenheim" (S. VIII) über seinen Vorgänger: "Seine Materialsammlung hat noch Wert, soweit die von ihm benutzten Archivalien heute nicht mehr vorhanden sind. Doch fehlte ihm die wissenschaftliche Schulung. Er lieferte keine Darstellung, sondern war ein kritikloser Sammler, dem zudem häufig Lesefehler und Flüchtigkeiten unterliefen".
Am 20. Juni 2012 stellte mir Falk Eisermann eine Stellungnahme zur Verfügung:
"Nach meiner Ansicht verdienen Roths bibliographische Angaben in dem Beitrag 'Zur Litteratur deutscher Drucke des 15. und 16. Jahrhunderts' ( http://archive.org/stream/zeitschriftfrdph26berluoft#page/470/mode/2up ) kein Vertrauen." Der Rest des Statements:
http://archiv.twoday.net/stories/1022476725
Den Vorwurf eines "offenkundigen Plagiats" erhob in den Nassauischen Annalen 2014, S. 35 Anm. 28 Matthias Schmandt gegen Roth, da dieser Überlegungen von Philipp Schmelzeis über Kloster Eibingen ohne Nennung ihres Urhebers übernommen hat.
[F.W.E. Roth und Tuto von Laurenburg, Gründer des nassauischen Klosters Schönau
http://archiv.twoday.net/stories/1022477197/ ]
Notizen in Archivalia zu Roth:
Unzuverlässiges Regest
http://archiv.twoday.net/stories/948996453/
Eine handschriftliche Sammlung satirischer Zeitgedichte des 17. Jahrhunderts in der Mainzer Martinusbibliothek (Roth verschleiert den Fundort)
http://archiv.twoday.net/stories/603123975/
Roth und Johannes von Zazenhausen
http://archiv.twoday.net/stories/410257770/
Irreführende Angabe Roths (betreffend den NL Hertzog)
http://archiv.twoday.net/stories/156262614/
Unverantwortlicher Umgang Roths mit einer Würzburger Quelle zum Mainzer Turnier
http://archiv.twoday.net/stories/133338469/
Dilettantischer Umgang Roths mit einem Arnsteiner Glossengedicht
http://archiv.twoday.net/stories/97066694/
Roths Abdruck der "Innigen Seele"
http://archiv.twoday.net/stories/97069110/
sowie zuletzt
Eine althochdeutsche Glossenhandschrift und weitere Merkwürdigkeiten in F. W. E. Roths "Mitteilungen aus Handschriften und älteren Druckwerken" (1894)
http://archiv.twoday.net/stories/1022476725/
F. W. E. Roths "Sammelband von Schriften Taulers" (Germania 1892, S. 285)
http://archiv.twoday.net/stories/1022476575/
II. Roth als Hochstapler
Hinsichtlich dieses Charakterzugs Roth hat sein einziger Biograph Duchhardt eindeutig zu zurückhaltend formuliert. Die Lektüre der amtlichen Aussage Roths zum Sickingen-Archiv 1914 lässt einen einigermaßen sprachlos zurück. Der Text aus Bold 1954 ist bequem auf Commons greifbar:
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Roth_sickingen_1.jpg
Treffend kommentierte das Bezirksamt Homburg: "Entweder hat der Mann früher Märchen erfunden oder er erfindet jetzt Märchen, um Ruhe zu haben". Der Großschlachter Peinter in Ohio als Nachbesitzer ist also eine von Roth erfundene Legende. Weniger drastisch bekannte Roth seine Sickinger Lügenmärchen in einem ebenfalls 1914 erschienenen Aufsatz:
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/88/Archiv_f%C3%BCr_Familien-%2C_Wappen-_und_Siegelkunde_9-17.pdf
Man vergleiche damit die früheren Angaben zu Roths Sammlung und zum Sickingen-Archiv in der Freiburger Zeitschrift
http://archive.org/stream/ZeitschriftDerGesellschaftFuerBefoerderungDerGav1888-1890/ZeitschriftDerGesellschaftFuerBefoerderungDerGav1888#page/n315/mode/2up
und
http://archive.org/stream/ZeitschriftDerGesellschaftFuerBefoerderungDerGav1888-1890/ZeitschriftDerGesellschaftFuerBefoerderungDerGav1888#page/n115/mode/2up
Auch Roths Glossenhandschrift soll, so die Mitteilung bei Steinmeyer-Sievers
http://www.archive.org/stream/diealthochdeuts03sievgoog#page/n702/mode/2up
Ende 1894 von Roth über einen Bremer Agenten an einen Privatmann in Ohio verkauft worden sein. (In diesem Fall habe ich hoffentlich plausibel gemacht, dass Roth diese althochdeutsche Glossen selbst erfunden hat.)
Eine Variante der Ohio-Legende ist offenkundig die Angabe NA 1898, S. 567 die Roth gehörige hochmittelalterliche Handschrift mit dem sogenannten "Gebetbuch" der Elisabeth von Schönau und dem Schönauer Nekrolog sei "jetzt in Nordamerika". Roths "Nachlass" in Darmstadt, eine bewusst für die Nachwelt präparierte Sammlung unveröffentlichter Arbeiten, enthält ein Handexemplar der Nekrolog-Edition in den "Studien und Mitteilungen" OSB. Die handschriftlichen Korrekturen betreffen aber anscheinend nur Datierungsfragen, nicht den Wortlaut.
http://www.digizeitschriften.de/dms/resolveppn/?PID=PPN345858530_0023%7Clog41
http://archive.org/stream/dievisionenderhl00elis#page/212/mode/2up
Von dem Codex fehlt jede Spur. Und nicht nur von diesem. Fast alle wertvollen Quellenschriften aus Roths Besitz sind verschollen. Wenige von ihm angekaufte Stücke nannte Roth 1883:
http://www.dilibri.de/rlb/periodical/pageview/96720
Ansonsten muss man die angeblichen Bibliotheksinhalte aus seinen Publikationen erschließen. Keine einzige Bibliothekshandschrift vormals im Besitz Roths ist heute noch greifbar. Von archivischen Amtsbüchern ist mir nur bekannt das Eltviller Oberamtbuch im Stadtarchiv Eltville, über das auf
http://www.rheingau-genealogie.de/goebel.htm
ein Brief von Hermann Göbel zitiert wird:
"Von der Heil`schen Familie erwarb es der frühere Kirchenrechner und Antiquar Karl Roth, von dem es sich auf dessen Enkel, den inzwischen verstorbenen Archivar Wilhelm Roth vererbte. Letztgenannten diente die wertvolle Handschrift 1880 bei Herausgabe seines 4-bändigen Werkes "Geschichtsquellen des Niederrheingaues" als Fundgrube. Im Februar 1916 erwarb ich das wertvolle Manuskript von dem Archivar Roth gegen Austausch eines dem 15. Jahrhunderts angehörenden Missale (Messbuch) aus dem Kloster Eberbach."
Das GLA Karlsruhe enthält im Findbuch zum Bestand 72 unter den Nr. 8135-8140 Einträge zu 1889 von Roth angekaufte Sickingen-Akten.
http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=4-1642904 (Nr. 8135)
Alfons Bold konnte in den Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 1854 von drei dicke Faszikeln sickingischer Akten aus dem Besitz des Barons von Recum berichten, die den Stempel Roths trugen (S. 30). Ansonsten gibt es wohl nur ein paar Druckschriften die auf Roth zurückgehen wie
http://www.inka.uni-tuebingen.de/?inka=32000041
Das sind zwei Blätter aus dem Breviarium Spirense, die Roth dem Historischen Verein Speyer verehrte. Er sagt in einem Brief, das Mainzer Exemplar sei "sehr defect", aber nicht, dass diese Blätter dem Mainzer Exemplar entstammen! (Duchhardt 1972, S. 155)
In den "Nachrichten für wissenschaftliche Bibliotheken" las man nach dem Zweiten Weltkrieg folgende Notiz: F.W.E. Roth, zuletzt wohnhaft in Niedernhausen/Taunus erwarb 1887 aus dem Nachlaß eines Rheingauer Gutsbesitzers einen Scivias-Kodex, der aus der Abtei Eberbach im Rheingau stammte. Es handelt sich um eine der ältesten Hss des Scivias aus dem 12./13. Jh. in Kleinfolio. 1888 veröffentlichte Roth aus dieser Hs die erste Scivias-Vision in den „Romanischen Forschungen" Bd. 4 (1891). 1918 beschrieb Roth die Hs nochmals in den „Stud. u. Mitteilungen z. Geschichte des Benediktinerordens". Bei Roths Tode im Jahre 1924 fand sich der Kodex nicht mehr in seinem Nachlaß. Auch in seinen handschriftlichen Aufzeichnungen fand sich kein Hinweis, wohin der Kodex gekommen wäre. Ebenso fehlt jede Spur von seinen anderen Hss, die (sicher auf Angabe Roths hin) in P. Schwenke, Adreßbuch der Deutschen Bibliotheken, 1893, mit 154 Hss des 10. — 19. Jh. verzeichnet sind. (Roth'sche Familienfideikommiß-Bibliothek, Geisenheim a. Rh., S. 134. Von einem Roth'schen Fideikommiß ist bei keiner der amtlichen Stellen etwas bekannt.) Bei einer Reihe von Bibliotheken und Antiquariaten wurden bereits Nachforschungen angestellt, aber alle ohne Erfolg. Für die Vorbereitung einer kritischen Ausgabe der Werke der Hl. Hildegard wäre es wichtig, diesen Kodex aufzufinden. Mitteilungen werden erbeten an Direktor Götting, Wiesbaden, Nassauische Landesbibliothek.
https://books.google.de/books?id=RZoaAAAAMAAJ&q=%22f+w+e+roth%22+handschrift
Schwenkes Zusammenstellung erfolgte unter Mitwirkung Roths, dem im Vorwort gedankt wird.
http://archive.org/stream/adressbuchderde00schwgoog#page/n428/mode/2up
Außer den 154 Handschriften soll die Bibliothek von über 5000 Bänden über 100 Inkunabeln und über 500 Bände des 16. Jahrhunderts enthalten haben - vermutlich reine Aufschneiderei. Schlagend demonstriert wird die Hochstapelei Roths durch eine kleine Meldung im Anzeiger des GNM 1890:
"“Wiesbaden, 25. März. Archivar F. W. E. Roth hat in einem hiesigen Privatarchive vier Folioblätter des 11. Jahrhunderts mit je dem Anfange des 18. und 19. Buches der Geschichte des Tit. Livius Patavinus, einzelne Bruchstücke des Rolandsliedes vom Pfaffen Kuonrad aus dem 14. Jahrhunderte und Bruchstücke eines bis jetzt nicht bekannten Druckes von Gutenberg entdeckt. (Nordd. Allg. Ztg. Nr. 144.)”
https://archive.org/stream/anzeigerdesgerma1890germiala#page/42/mode/2up
Selbstverständlich hat man nie mehr von diesen wundersamen Funden gehört.
Dr. Martin Mayer von der Landesbibliothek Wiesbaden hat mir freundlicherweise eine Kopie eines nur abschriftlich erhaltenen Briefs Roths an den Direktor der Wiesbadener Bibliothek vom 1. Dezember 1898 überlassen, in dem dieser einige teils seltene Bücher der Bibliothek anbietet (die Liste fehlt) und angibt, Berlin, Straßburg und Nürnberg hätten "fast meine sämtlichen Nassoica und alten Drucke erworben". Nachfragen bei der SB Berlin und der BNU Straßburg ergaben, dass Roth zwar einige Bücher dorthin verkauft hat, aber keine wertvollen alten Drucke. Die diesbezüglichen Unterlagen der Stadtbibliothek Nürnberg befinden sich im Stadtarchiv Nürnberg; wenn er das GNM gemeint hat, so kam aus dieser Institution eine Fehlanzeige. Im Inkunabelkatalog gibt es kein Stück aus seinem Besitz. Also auch hier haben wir es mit einer dicken fetten Lüge Roths zu tun.
Roth war also ein notorischer Lügner hinsichtlich der Provenienz und des Verbleib seiner Sammlungsbestände.
III. Gottfried Zedlers Auseinandersetzung mit Roth 1921
Gottfried Zedlers Abrechnung vor allem mit den Fälschungen Bodmanns und Schotts erschien 1921 als Nassauische Annalen. Band 45, 1918-1921:
http://archive.org/details/NassauischeAnnalen45
Siehe http://archiv.twoday.net/stories/97064148/
S. 378 verzeichnet die Urkundenübersicht Korrekturen zu Roths "Fontes", S. 384 werden im Sachregister s.v. Roth zahlreiche kritische Bemerkungen registriert.
S. 65f. behandelt Zedler ein Regest Roths zu 1138 aus einem Manuskript von Severus als "verdächtige moderne Überlieferung". Er konnte die Quelle bei Severus nirgends finden und stellte fest, dass sie mit echten Quellen in offenem Widerspruch stehe.
S. 73f. macht Zedler Roth für die moderne Fälschung einer Urkunde angeblich von 1090 auf der Grundlage einer Bodmann'schen Fälschung aus einem nur Roth vorliegenden und nur hinsichtlich dieser einen Urkunde von ihm verwerteten Kopialbuch des Klosters Johannisberg aus dem 15. Jahrhundert verantwortlich.
https://archive.org/stream/NassauischeAnnalen45/NassauischeAnnalen451921#page/n89/mode/2up
Schon Sauer hatte sich über das Vorgehen Roths gewundert:
https://archive.org/stream/codexdiplomatic02sauegoog#page/n121/mode/2up
S. 301f. geht Zedler auf den merkwürdigen Umstand ein, dass Roth in seinen Fontes so tut, als habe ihm eine von Bodmann gefälschte "Narratio" selbst vorgelegen, was er aber in einem Briefwechsel mit Weiland zurücknahm. Er habe den Text aus Nachträgen Bodmanns. Zedler bezweifelt, dass Bodmann das von Roth mitgeteilte Stück selbst gefälscht habe. Dass er Roth für den Fälscher hielt, darf man annehmen. Für Roth war es gefahrlos, den später stark zerstörten riesigen Bestand des Bodmann-Habel-Nachlasses als Quelle seiner Fälschungen zu fingieren, da man ohne genaue Angaben in den Quellenmassen nichts gezielt überprüfen konnte.
S. 354ff. nimmt Zedler sich Roths Rettungsversuch der (gefälschten) Bleidenstädter Traditionen vor und ist sichtlich empört über die "bodenlosen Ausführungen" (S. 356). In der Nassovia 1914 beruft Roth sich auf eine Abschrift aus dem Nachlass des Pfarrers Severus (gest. 1779). Dieser hatte nach Roth die (von Schott gefälschte) Schenkungsurkunde von 838 vorliegen. Sarkastisch überlässt Zedler Roth die Lösung des Rätsels. Das gilt auch für die "mysteriösen Mitteilungen" Roths in der Nassovia 1917 über eine ihm vorliegende Abschrift Schunks, die Schott und Bodmann entlaste.
Wenn man heute mit Fug und Recht die Bleidenstädter Traditionen als Fälschungen Schotts ansieht, kommt man um den Schluss nicht herum, dass Roth seine Gegenbeweise, nämlich die Manuskripte von Severus und Schunk (dieser überlieferte nach Roth auch die ominösen Meistersingerunterlagen, nach denen Germanisten wiederholt vergeblich gesucht haben), erfunden hat!
Von den Kritikern Zedlers, die mit diesem durchaus hart ins Gericht gingen, ist Roth notabene nie entlastet worden. Im Gegenteil: Schaus spricht davon, dass der ausgedehnten Fälschertätigkeit Bodmanns und Schotts "durch die Unverantwortlichkeiten des noch lebenden F. W. E. Roth eine Art Nachspiel beschert war".
http://hdl.handle.net/2027/inu.30000115818126?urlappend=%3Bseq=485 (US)
Drögereit widmete sich den Bleidenstädter Traditionen (Nassauische Annalen 1938), ohne Roth zu erwähnen und kritisiert stattdessen die Zedlersche Untersuchung - kommt aber zu keinem anderen Ergebnis als dass die Traditionen von Schott gefälscht wurden.
Fazit: Schon Zedler 1921 hat Roth nicht nur zahlreiche Ungenauigkeiten und Lesefehler vorgeworfen, sondern - wenngleich eher indirekt - Quellenfälschungen. Dass er diesem die Beweislast zuschob, erklärt sich dadurch, dass Roth noch lebte und 1921 noch kleinere Arbeiten veröffentlichte. Zedlers Argumentation gegen Roth ist absolut nachvollziehbar und methodisch nicht zu beanstanden.
IV. Walther Ludwig entlarvt 1987 das "Severus Ms." als Chimäre
Ohne die Arbeit Zedlers zu kennen, hat sich der Hamburger Altphilologe Walther Ludwig, ein exzellenter Kenner des deutschen Humanismus, 1987 näher mit Roths Arbeitsweise beschäftigt. Zur Charakteristik Roths stützt er sich nur auf Duchhardt, der Roth verharmlosend "Unkorrektheiten" attestierte. Ludwigs Schrift "Römische Historie im deutschen Humanismus. Über einen verkannten Mainzer Druck von 1505 und den angeblich ersten deutschen Geschichtsprofessor" berichtet von zwei Überraschungen. Ludwig stellte fest, dass Bernhard Schöfferlin entgegen der Aussage der Sekundärliteratur gar keine Liviusübersetzung, sondern eine eigenständige Geschichte Roms verfasst hat. Und er fand heraus, dass Schöfferlin entgegen der auf Roth zurückgehenden Communis opinio auch nicht 1504 die von Ivo Wittich gestiftete Mainzer Geschichtsprofessur übernommen haben kann (Ludwig zu Roth: S. 22-29). Aus einer bislang nicht beachteten Urkunde des Esslinger Katharinenspitals ging nämlich hervor, dass Schöfferlin 1501 bereits tot war! Roth berief sich auf bei dem Mainzer Gymnasialprofessor Hennes befindliche Aufzeichnungen von Johann Sebastian Severus, von denen Ludwig trotz umfangreicher Bemühungen keine Spur finden konnte. Unauffindbar waren nicht nur die angeblich im Besitz von Hennes gewesenen Aufzeichnungen, der Inhalt konnte auch nicht in den Handschriften des Severus oder den von ihm zusammengestellten Gamansischen Fragmenten ermittelt werden (S. 24 Anm. 47). Ludwig war nicht der erste, der lange vergeblich nach diesen Severus-Unterlagen gesucht hat, siehe Reinmar Walter Fuchs: Die Mainzer Frühdrucke mit Buchholzschnitten 1480–1500, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 2 (1958-1960), S. 1–129, hier S. 98f.
Ludwig wirft Roth vor, dass er "öfters flüchtig und fehlerhaft" gearbeitet habe (S. 25) und macht das an zwei Beispielen fest. Man könne aber auch nicht ausschließen, dass Roth "Neues erfand, um damit Annahmen, die ihm gewiß schienen, zu bekräftigen" (S. 26). Ludwig hält es für unwahrscheinlich, dass der gewissenhafte Severus Schöfferlin als ersten Geschichtsprofessor genannt habe. Näher liege, dass Roth seine Annahme "der besseren Glaubwürdigkeit wegen als Überlieferung des Severus erklärte. Es sei hier nicht mehr behauptet, als daß eine derartige Falschangabe durch Roth möglich erscheint und, solange das mysteriöse von ihm angeblich benutzte 'Severus-Ms.' nicht überprüfbar ist, nicht ausgeschlossen werden kann" (S. 27).
In dem Manuskript von Severus fand Roth nach seinen Angaben aber auch die Kopie eines Briefes des Simon Ribysen, datiert Heidelberg V Idus Novembris 1503, an Schöfferlin in Mainz. Die Existenz eines solchen Briefs sei "nicht nur realiter unmöglich, es ist auch ausgeschlossen, daß ein solcher Brief von Severus angeführt worden ist und unwahrscheinlich, daß Roth einen von Severus tatsächlich zitierten Brief nur falsch referiert hätte" (S. 27). Ludwig hält es für wahrscheinlich, dass der "Brief von Roth selbst stammt" (S. 28). Da zahlreiche Angaben zur frühen Mainzer Universitätsgeschichte auf den derzeit unüberprüfbaren Angaben Roths aus Severus beruhen, plädiert Ludwig dafür, "ihnen mit Zurückhaltung zu begegnen, solange sie nicht durch von Roth unabhängige Quellen bzw. durch den Fund der angeblich von ihm benutzten Aufzeichnungen des J. S. Severus verifiziert werden. Vielleicht hat der Autodidakt Roth, der mit den professionellen Historikern hinsichtlich beruflicher Stellungen ständig in einem erfolglosen Konkurrenzkampf lag, diesen zeigen wollen, daß er mehr wußte, als sie alle zusammen" (S. 28). Es sei dringend nötig, auch die anderen Angaben Roths zu überprüfen.
Jürgen Steiner: Die Artistenfakultat der Universität Mainz 1477-1562 (1989) hat Ludwigs Skepsis rezipiert und Roth verschiedentlich Falschangaben nachgewiesen (92 Anm. 229, 148, 309 Anm. 139, S. 413-415, 498 Anm. 37).
1999 musste sich Uta Goerlitz mit Roths Arbeiten auseinandersetzen (Humanismus und Geschichtsschreibung am Mittelrhein, S. 12, 20f., 28 Anm. 4, 30 Anm. 9, 31 Anm. 15, 34f., 52 Anm. 10, 70 Anm. 187, 84 Anm. 252). Sie rezipierte Ludwigs Ausführungen und betonte wiederholt Roths Unzuverlässigkeit. Interessant sind zwei Stellen (87 Anm. 260, 88 Anm. 262f.), an denen sie die von Roth bemühten Angaben eines "Schunk-Ms." widerlegt. Zu dem von Roth genannten Geburtsdatum von Wolfgang Trefler registriert sie, dass Schunk in einer von ihm gedruckten Arbeit das von Roth aus einem Schunk-Ms. angeführte Datum nicht angebe. Roth will in der Hofbibliothek Darmstadt ein Exemplar der Epistolae clarorum virorum 1518 gesehen haben, das Nikolaus Basellius eigenhändig Trefler gewidmet habe. Dieses Exemplar gibt es in Darmstadt nicht, und nach Mitteilung von Kurt Hans Staub an Goerlitz habe es sich dort auch seinerzeit nicht befunden. Man wird es mir nachsehen, wenn ich darin eine weitere Erfindung Roths erblicke.
Nur ausnahmsweise wird es gelingen, die eher unauffälligen Ergänzungen der Lebensläufe der Mainzer Gelehrten in den diversen Arbeiten von Roth zu ihnen durch Severus-Manuskripte zu widerlegen. Auch wenn sie gefälscht wurden, sind sie nicht als Fälschungen nachweisbar.
Immerhin kann ich einen weiteren Beleg zu den Mainzer Gelehrten beisteuern, bei dem Roth "falsch gefälscht" hat. Mehrfach hat Roth sich zur Involvierung der Mainzer Universität in den Reuchlin-Streit geäußert.
http://idb.ub.uni-tuebingen.de/diglit/kath_1898_018/0250 (1898, bei Bertram)
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8e/Roth_thueringen.pdf (bei Bertram, 1899/1900)
http://dlib-zs.mpier.mpg.de/mj/kleioc/0010/exec/bigpage/%222085091_22%2b1901_0384%22 (bei Weidmann, 1901)
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c3/Bartholom%C3%A4us_Zehender_und_Johann_Stumpf_von_Eberbach.png (bei Zehender, 1902, ohne Belege)
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/30/Roth_Zur_Geschichte_der_Mainzer_Juristenfakult%C3%A4t.png (Mainzer Juristenfakultät, 1902, hier zitiert 1902a, ohne Belege)
http://idb.ub.uni-tuebingen.de/diglit/kath_1909_004/0443 (bei Zehender, 1909, zitiert 1909a)
http://idb.ub.uni-tuebingen.de/diglit/kath_1909_004/0145 (Kampf um die Judenbücher 1909)
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Roth_Johann_Reuchlin_vor_der_theologischen_Fakult%C3%A4t_zu_Mainz_1511-1513.pdf (Johann Reuchlin vor der theologischen Fakultät zu Mainz, 1915, ohne Belege)
Obwohl es durchaus wichtig gewesen wäre, zitiert Roth an keiner Stelle die Mitteilungen des Severus "ex archivo regiminali" (so zuerst 1898) wörtlich. 1909 gibt er als Fundort das Pfarrarchiv Geisenheim an, wo man ein Severus-Manuskript seither vergebens gesucht hat (auch ich habe beim Pfarramt angefragt und die übliche Auskunft bekommen). Dort gab es tatsächlich eine grüne Mappe mit Severus-Aufzeichnungen, glaubt man dem Verzeichnis der Rheingauer Archive 1885, aber dieses Verzeichnis stammt von keinem anderen als Roth!
http://www.archive.org/stream/westdeutschezei00unkngoog#page/n439
Im NA 1909 deutete Roth aber an, dass die Aufzeichnungen dort nicht mehr befänden ("s. Z. aufbewahrt gewesenen Nachlass").
http://www.digizeitschriften.de/dms/resolveppn/?PID=PPN345858530_0034%7Clog32
Allerdings hatte schon 1875 Falk Aufzeichnungen von Severus im Pfarrarchiv Geisenheim vorgefunden, aber nichts darin von Bedeutung für das neu begründete Bistum Mainz gelesen.
http://periodika.digitale-sammlungen.de/bdlg/Blatt_bsb00000189,00094.html
Hat Roth womöglich die Sachen beseitigt, damit man ihm nicht auf die Schliche als Fälscher kam?
Roth macht in seinen angeführten Arbeiten widersprüchliche Angaben über die Mitteilungen zum Reuchlin-Handel aus der Geisenheimer Severus-Quelle.
1898 gab er als ersten der fünf Mainzer Richter, die am 15. September 1511 über Reuchlin richten sollen, Caspar von Westhausen an, während er in den späteren Publikationen an dieser Stelle stets Johann Monasterii nannte.
Roth nennt - wohl weil Geiger in seiner Reuchlin-Monographie leserunfreundlich häufig das Jahresdatum wegließ - penetrant das falsche Datum 1511, obwohl die Sache in den Herbst 1513 gehört. 1909 schreibt Roth wenig plausibel, der Mainzer Domdekan und sein Kapitel hätten am 27. September 1511 geschrieben, der Termin sei auf den 12. Oktober 1513 vertagt worden. 1898 heißt es richtig 27. September 1513, aber die Vorladung datiert vom 15. September 1511 (ebenso 1899/1900).
Schon Gustav Bauch fiel auf, dass Roths Angabe, dass der Jurist Weidmann, der kurz vor 1518 promoviert hatte, schon 1513 als Mainzer Professor (Bauch sagt Dr. iur., aber das behauptet Roth an der von Bauch zitierten Stelle 1898 gar nicht) in der Reuchlin-Sache mit vier anderen als Richter vorgesehen war, schwerlich mit den übrigen Quellen vereinbar ist.
http://www.archive.org/stream/archivfurhessiscns05hist#page/78/mode/2up
Denn es heißt ausdrücklich (was Roth wohl bei Geiger
https://books.google.de/books?id=AsoFAAAAQAAJ&pg=PA294
überlesen hatte), es seien vier Mainzer Richter eingesetzt worden. So Gratius 1514:
http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00011546/image_12
Die moderne Reuchlin-Forschung hat sich daran nicht gestört und die von Roth genannten fünf Namen in ihre Darstellungen eingebaut (Winfried Trusen in: Reuchlin und die politischen Kräfte seiner Zeit, 1998, S. 95; Johannes Reuchlin Briefwechsel 2, 2003, S. 462).
Gemäß Roth 1901 gehörte Weidmann zu einer Kommission, die 1509 ein Gutachten über die Judenbücher im Auftrag Maximilians I. abgeben sollte, während er nach Roth 1902a im Jahr 1510 als Sachverständiger im Reuchlin'schen Streit tätig war. Nach Roth 1901 wurde er 1515/16 Dr. iur. und Mainzer Professor, was ganz und gar nicht zu dem 1898 berichteten Auftreten als Mainzer Professor 1511 (bzw. 1513) passt.
Roth nennt Weidmann irrtümlich einen Gegner Reuchlins, in Wirklichkeit war er ein "glänzender Anhänger" des Humanisten (Steiner S. 147; Eckhart Pick, Mainzer Reichsstaatsrecht, 1977, S. 24f.; Schrohe, in: AHG NF 15, 1928, S. 616).
1898 (ebenso noch 1899/1900) war Roth offenbar entfallen, dass Pridie Kal. Novembris der 31. Oktober ist, sonst hätte er wohl kaum angemerkt, dass die Datierung des Mainzer Gutachtens bei Severus in den Oktober 1510 chronologisch besser passen würde. 1909 führt er dann diese Severus-Datierung nur noch an, um die Glaubwürdigkeit von Severus zu belegen.
Ein weiteres der Forschung bis Roth unbekanntes Schriftstück aus dem angeblichen Severus-Konvolut war der Gutachten-Auftrag des Mainzer Erzbischofs vom 14. August 1510 (so 1898, 1909 und 1915) an die theologische Fakultät, vertreten durch Dekan Bertram und Regens Ortlieb. Roth hat dieses Dokument, das lediglich erwähnt wird, so gut in den bekannten Ablauf eingepasst, dass Einwendungen nicht möglich sind.
Was es mit Orliebs Erkrankung (und Vertretung durch Zehender), die man in der eigentlich relevantesten Darstellung 1909 vergeblich sucht, auf sich hat (sie wird von Roth 1902 und 1915 erwähnt und in 1909a ausdrücklich auf Severus zurückgeführt), ist den chronologisch konfusen Ausführungen Roths nicht klar zu entnehmen. Zur Tätigkeit Ortliebs siehe den Reuchlin-Briefwechsel S. 156. Am ehesten versteht man wohl das Ganze, wenn man annimmt, Roth habe die Ausführungen im Frankfurter "Archiv" über Ortlieb=Hess und Pfefferkorn missverstanden
https://books.google.de/books?id=xDEDAAAAYAAJ&pg=PA213
und eine Erkrankung Ortliebs erfunden. Ortlieb wurde in Frankfurt sehr wohl gemeinsam mit Pfefferkorn tätig. Wenn Ortlieb und Pfefferkorn am 2. Januar 1510 beauftragt wurden, wie konnte Zehender in Folge des "Mißerfolgs" in Frankfurt (so Roth 1902 und 1909a) Mainz verlassen und nach Heidelberg gehen, wo er im Oktober 1509 immatrikuliert wurde? (Roth 1902 sagt übrigens versehentlich "Mainz" statt Frankfurt.)
Angesichts der dargestellten Varianten in den diversen Publikationen Roths und der teilweisen Unvereinbarkeit mit den Angaben zeitgenössischer Quellen ist es wohl nachvollziehbar, wenn ich die Reuchlin-Forschung auffordere, von der weiteren Verwertung der angeblich von Severus stammenden Details zum Reuchlin-Streit Abstand zu nehmen. Meine Ergebnisse zum Komplex Reuchlin stimmen zu Ludwigs Ergebnissen und unterstützen seinen Fälschungsverdacht. Anders als Ludwig konnte ich eine ganze Reihe von Publikationen Roths miteinander vergleichen.
V. Weitere verschollene Quellen, die nur Roth kannte
Zu den Publikationen über Handschriften in der Germania 1892 und ZfdPh 1894 habe ich in den letzten Tagen zwei ausführliche Analysen vorgelegt.
http://archiv.twoday.net/stories/1022476575/
http://archiv.twoday.net/stories/1022476725/
Von den neun Nummern 1892 sind fünf nicht mehr erreichbar. Im Fall des angeblichen Tauler-Sammelbands kann man die Fälschung wohl mit Händen greifen. Von den 18 Nummern 1894 ist die Hälfte nicht mehr greifbar. 1892 und 1894 hat Roth jeweils eine Seuse-Handschrift auf zwei Nummern verteilt. 1894 hat er ein lateinisches Vagantengedicht gesplittet und auf zwei Handschriften angeblich in seiner Bibliothek verteilt. Auch bei den angeblich nach Ohio verschwundenen althochdeutschen Glossen plädiere ich für eine Fälschung. Bei den verschollenen Stücken aus Roths Besitz konnte Roth vergleichsweise einfach Inhalte und Texte erfinden. Natürlich kann man nicht ausschließen, dass er authentische Stücke beschrieb.
Zum Trithemius-Jubiläum 1916 zauberte Roth eine inhaltsreiche Schönauer Klosterhumanismus-Handschrift unter anderem mit Trithemius-Texten aus dem Hut, angeblich in Privatbesitz in Nastätten,
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Roth_Des_Klosters_Schoenau_literarische_Bluete.pdf
die in Klaus Arnolds Überlieferungsübersicht 1991
http://www.yumpu.com/de/document/fullscreen/26756704/arnold-trithemius-1991
fehlt. Von mir mit meinem Fälschungsverdacht gegen Roth konfrontiert, schrieb mir Arnold:
"Jeder Fälscher macht Fehler, und Roth hat einfach übertrieben hinsichtlich des Umfangs und Inhalts (sollen doch zusätzlich noch zwei Pergamentcodices des 14. Jahrhunderts angebunden gewesen sein).
Zum Inhalt der "Schönauer Handschrift": Die Schreibernotiz 1497 soll dem Ganzen Glaubwürdigkeit verleihen (634); wirklich ein umfassender Sammelband: Adrian, Melchior, Schwelm, Trithemius, Trefler ...; eine deutsche Allerheiligenlitanei in Versform; Melchiors "De rosario" deutsch, mit 1475 erstaunlich früh datiert (636); Schwelms Übersetzung des Annengebets sonst nicht nachweisbar; desgleichen eine Rede des Trithemius mit dem Incipit "Cum omnium etc."( die Erfurter 1492 aber sehr wohl sowie "De fuga saeculi" mit Incipit nach Busaeus, 637); ein sonst unbekanntes "Compendium" Wolfgang Treflers und seine "Exhortatio novitiorum" mit Incipit; und dann noch die zwei Pergamenthandschriften ...
Kurzum, ich glaube das alles nicht (auch wenn Harald Müller so einen sehr schönen Beleg für seinen "Klosterhumanismus" hätte) und vom Ganzen sonst nirgends eine Spur." (Mail vom 13. Juli 2012)
Für nicht wenige Inschriften in dem Band "Die Inschriften des Rheingau-Taunus-Kreises" von Monsees ist Roth die einzige Quelle. Durch Auswertung seiner kleinen Aufsätze käme wohl noch das eine oder andere Stück dazu. Aber ob die Berücksichtigung z.B. der Inschrift von 1487 in Eltville
http://www.dilibri.de/rlb/periodical/pageview/96799
nach einer Aufzeichnung von Pfarrer Severus wirklich ein Gewinn wäre?
In der oben erwähnten Schrift von 1913 u.a. über Matthäus von Krakau gibt Roth exklusiv zu den mit den Namen des Theologen verbundenen deutschen Beichtformeln "Ich sundiger mensch bekenne" (vgl. Worstbrock im ²VL 6, Sp. 177 und
http://www.handschriftencensus.de/werke/4445
http://www.handschriftencensus.de/werke/5029 ) eine Widmung an Abt Jakob von Eberbach aus einer nicht näher bezeichneten Eberbacher Handschrift. Die Widmung fehlt in den sonstigen Textzeugen. Die einschlägige Forschung hat die Publikation Roths 1913 wohl nicht registriert. Roth sagt, "offenbar" sei Matthäus durch das Eberbacher Kolleg in Heidelberg mit Abt Jakob in Beziehung getreten, aber er sagt nicht, wie das möglich gewesen wäre. Abt Jakob starb 1392 (Monsees), Matthäus ging erst 1394 nach Heidelberg. Seiner Textwiedergabe der "Beichte" konnte Roth die von ihm genannte Trierer Handschrift
http://www.handschriftencensus.de/24022
zugrundelegen. Hinzuerfinden musste er nur die Überschrift und die dreizeilige Widmung. Im HJb 1886, S. 227f. wusste er von der Widmung des Matthäus noch nichts.
Bisher konnte von der Forschung nur ein kleiner Teil der Publikationen Roths überprüft werden. Vor allem die umfangreichen vierbändigen "Fontes Rerum Nassoicarum" sind ein dicker Brocken. In vielen Fällen wird es bei einem mehr oder minder vagen Verdacht bleiben müssen, vor allem wenn Schreibsprachenexperten nicht zu Hilfe kommen oder sich uneins sind ...
Darf man Roth wirklich seitenlange Erfindungen auf Latein oder Frühneuhochdeutsch zutrauen? Je länger ein verdächtiger Text ist, um so schwieriger wäre es für Roth gewesen, ihn einigermaßen fehlerfrei zu fingieren. Gut zweieinhalb Druckseiten umfasst die Eltviller Urkunde von 1445 aus den Severus-Gamans-Kollekanteen, also einer jener Phantasiequellen Roths, die er 1886 abdruckte:
https://archive.org/stream/diedruckereizue00rothgoog#page/n31/mode/2up
Inhaltlich verdächtig ist das zum ewige Gedächtnis des Stifters eingeräumte Brunnennutzungsrecht.
Noch nicht veröffentlicht habe ich meine Recherchen zum Todestag Johannes Gutenbergs und den verschollenen Meistersinger-Unterlagen aus dem Nachlass Schunk. Man wird ahnen, zu welchem Schluss ich bei ihnen komme.
Glaubt man den Fälschungsargumenten, hat Roth schon in den "Fontes" gefälscht (so Zedler) und danach immer wieder. Beruft er sich auf ein Manuskript von Severus oder Schunk, sollte man den entsprechenden Beleg lieber nicht verwerten. Andererseits sind aber auch sehr viele seiner Arbeiten, soweit ersichtlich, "sauber", also ohne solche fingierten Quellen erarbeitet.
Ob es Roths Scivias-Codex oder das sogenannte Gebetbuch der Elisabeth von Schönau tatsächlich gegeben hat, müsste gründlich von Mittellateinern erwogen werden. Das Zwierlein'sche Archiv in Geisenheim
http://archiv.twoday.net/stories/97069007/
ist verschwunden; anscheinend hat nur Roth es ausgewertet. Selbstverständlich können bei solchen Stücken in öffentlichem Besitz durch den Zweiten Weltkrieg oder Vernachlässigung Verluste eingetreten sein, aber nicht nur bei dem oben erwähnten Basellius-Eintrag in einer Inkunabel der Darmstädter Hofbibliothek muss man damit rechnen, dass Roth den öffentlichen Sammlungen gefälschte Kuckuckskinder untergeschoben hat (natürlich nicht real).
Verdächtig ist auch, dass im von mir durchgesehen Nachlass von Roth Aufzeichnungen fehlen, die die Existenz der verschollenen Stücke plausibel machen könnten. Vielmehr finden sich in den von Roth für die Darmstädter Bibliothek wohl eigens ausgearbeiteten Aufzeichnungen weitere Dubia, etwa in Beiträgen zur Mainzer Gelehrtengeschichte 1898/1915 Bl. 30-30v Auszüge aus dem Seelbuch der St. Quintinus-Pfarrei Mainz (15. Jahrhundert), Folioblatt von der Hand des Pfarrers Severus.
Duchhardt weiß von "wiederholten Drohungen, das von ihm gesammelte Quellenmaterial zu vernichten" (1972, S. 153). In einem Konflikt mit dem Grafen Eltz wollte Roth partout nicht nach Vukovar reisen. Sollte der Graf darauf bestehen, so ist das "Streichholz schon gefertigt und alles vernichtet" (ebd., S. 152). Hin und wieder hätten ihn Depressionen veranlasst, durch seine Frau sämtliche ungedruckten Manuskripte verbrennen zu lassen (ebd., S. 150). Hat der offenbar psychisch kranke Roth womöglich so auch Originale entsorgt? Das wäre eine Erklärung für die große Zahl verschollener Handschriften, die sich angeblich in seinem Besitz befunden haben. Auch die Ohio-Legende könnte dazu gedient haben, solche ungeheuerlichen Quellenvernichtungen zu vertuschen, die, wären sie bekannt geworden, seinen Ruf völlig ruiniert und womöglich zu dauerhafter Einweisung in die Psychiatrie geführt hätten.
Aber diese Hypothese vermag die deutlichen Hinweise auf Fälschungen nicht zu entkräften. Roth behauptete die Existenz von Unterlagen, die es sicher nie gegeben hat. Keine der Aufzeichnungen von Severus oder Schunk konnte seither wiedergefunden werden; keine früheren oder parallelen Benutzungen dieser Unterlagen konnte ich finden.
V. Fazit
Dass Roth unzuverlässig war, wusste man schon lange. Sein Biograph Duchhardt, der Roth mit deutlicher Sympathie porträtierte, ließ die wenig erfreulichen Seiten Roths durchaus nicht unter den Tisch fallen. Aber von den Quellenfälschungen Roths liest man bei Duchhardt nichts, obwohl er Zedlers Arbeit zitierte. Walther Ludwigs Studie von 1987 ist vor allem von der Humanismus-Forschung beachtet worden.
Auf dem von Zedler und Ludwig gelegten Fundament konnte ich weiterbauen. Der Reuchlin-Komplex und die Analyse der Publikationen in der Germania 1892 und der ZfdPh 1894 lieferte weitere Fälschungs-Argumente.
Die nachgewiesene wissenschaftliche Unredlichkeit (siehe oben II) macht es für Verteidiger Roths schwer, die von mir angestrebte "Beweislastumkehr" abzuwehren. Aus meiner Sicht habe ich den Fälschungsverdacht hinreichend untermauert. Wer die Existenz nicht mehr greifbarer Quellen, die Roth exklusiv zugänglich waren, behauptet oder ihnen Informationen entnimmt, sollte ausführlich begründen müssen, welche Indizien für ihre Verwertung sprechen.
Bei den Motiven, die Roth zum Fälscher von Geschichtsquellen werden ließen (in seiner Generation in dieser Form einzigartig), spielte sicher die psychische Erkrankung eine Rolle. Der menschlich schwierige Autodidakt und Außenseiter konnte mit exklusiven Quellenkenntnissen auftrumpfen, es den akademischen Historikern zeigen, die abschätzig auf ihn heruntersahen. Er konnte Lücken schließen und seine Darstellungen mit - nicht immer bedeutenden - Details würzen, über die andere eben nicht verfügten.
Nachträge:
F. W. E. Roth als Bibliograph: Die Studie über den Mainzer Drucker Friedrich Heumann (1509-1512)
http://archiv.twoday.net/stories/1022477529/
http://archiv.twoday.net/stories/1022478902/
***
Zum Thema Fälschungen in Archivalia:
http://archiv.twoday.net/stories/96987511/
#forschung
Bei etwa 500 Publikationen Roths versteht es sich von selbst, dass meine Roth-Studien ein "work in progress" sind. Soweit mir Online-Nachweise bekannt sind, habe ich sie unter
http://de.wikisource.org/wiki/Ferdinand_Wilhelm_Emil_Roth
vermerkt. Die Liste fußt auf der BBKL-Liste, die wiederum auf Duchhardt (1972, Nachträge 1977) zurückgeht. Duchhardt konnte aber noch nicht die Sonderdrucke Roths kennen, die erst 1978 im Darmstädter Nachlass gelandet sind und die etliche Ergänzungen bieten (von mir noch nicht eingearbeitet).
I. Roths Leben und Arbeitsschwerpunkte
Heinz Duchhardt hat 1972 in den Nassauischen Annalen ein gründliches Lebensbild von Roth vorgelegt, zu dem er 1977 in der gleichen Zeitschrift Nachträge vorlegte.
GND
http://beacon.findbuch.de/seealso/pnd-aks?format=sources&id=116637633
Üblicherweise nannte sich Roth mit abgekürzten Vornamens-Initialen F.W.E., die nach seinem Willen mit Ferdinand Wilhelm Emil aufzulösen sind. Getauft wurde er lediglich auf den Namen Emil. Geboren am 6. August 1853 in Eltville, starb er am 8. Februar 1924 in Offenbach am Main. Seine Werke sind also schon seit längerem gemeinfrei.
Roth war Autodidakt und hatte keine akademische Ausbildung. Es ist sogar unbekannt, ob er einen Gymnasialabschluss hatte. Dass er in Freiburg im Breisgau 1877/78 eine Einführung in das Archivwesen erhielt, stützt sich nur auf eigene Angaben in einem Lebenslauf von 1919, den er der Darmstädter Bibliothek mit seinem Nachlass übergab. Der Sohn eines Gutsbesitzers konnte offenbar - zumal nach Antritt des väterlichen Erbes 1887 - das Leben eines begüterten Privatgelehrten führen und alte Handschriften und Drucke sammeln. Willkommen waren aber sicher auch die Honorare, die ihm von seinen vielen Publikationen zuflossen. Nur kurze Zeit stand Roth 1889 als Archivar in den Diensten des Grafen von Eltz. Daher nannte er sich häufig "Archivar a. D.". Roth lebte unter anderem in Frankfurt, Darmstadt, Wiesbaden, Geisenheim und Niedernhausen. Aufgrund einer Paranoia musste man ihn 1904 in die nassauische Heil- und Pflegeanstalt auf dem Eichberg einweisen, wo er viereinhalb Jahre blieb. Im Frühjahr 1912 war er nochmals dort (Duchhardt 1977).
Roth legte unzählige Publikationen vor, wobei er sich bei renommierten Publikationsorten (darunter auch der führenden mediävistisch-quellenkundlichen Zeitschrift, dem "Neuen Archiv" der MGH) meist auf den Zeitraum von Hochmittelalter bis zum 16. Jahrhundert beschränkte, während er in Artikeln zur nassauischen Orts- und Landesgeschichte, die in Heimatzeitschriften und Zeitungen erschienen, bis ins 19. Jahrhundert ausgriff.
Thematische Schwerpunkte waren:
- Erforschung der monastischen Spiritualität des Hoch- und Spätmittelalters, ausgehend von Frauen (Hildegard von Bingen, Elisabeth von Schönau) und Männern (Johannes Trithemius und andere) des rheinischen Raums
- Mitteilungen (einschließlich Editionen) aus damals noch unerschlossenen Handschriftenbeständen (Darmstadt, Mainzer Seminar- und Stadtbibliothek u.a.) und Roths eigener Sammlung
- Geschichte des Buchdrucks vor allem im 15./16. Jahrhunderts
- Biographisches zu Gelehrten der Mainzer Universität im 15./16. Jahrhundert
- Biographisches zu Autoren des 15./16. Jahrhunderts aus dem Feld der Botanik
Insgesamt ist der starke kulturgeschichtliche Einschlag von Roths Oeuvre unverkennbar.
Einen kleinen Eindruck soll die Liste zum Jahr 1913 vermitteln. Ich habe Notizen zu den handschriftlichen Quellen hinzugefügt.
Aus Handschriften der Mainzer Seminarbibliothek. In: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 38 (1913), S. 572-580 DigiZeitschriften
Zur Geschichte der protestantischen Kirche 1574-1628. In: Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, Jg. 1913, S. 47-56 Commons
Aus der Schad'schen Sammlung der Stadtbibliothek Ulm.
Gutenbergs, des Erfinders der Typographie, Tod und Begräbnisstätte. In: Wochenbeilage der Darmstädter Zeitung, Jg. 8, Nr. 8 vom 22.2.1913, S. 29f. ULB Darmstadt
Unter anderem Eintrag zu Gutenbergs Tod am 3. Februar 1468 in einem gedruckten Confessionale in Rheingauer Privatbesitz (verschollen)
Gutenbergstudien. In: Wochenbeilage der Darmstädter Zeitung, Jg. 8, Nr. 35 vom 30.8.1913, S. 137-139 ULB Darmstadt
Gutenbergstudien. In: Nassovia 14 (1913), S. 105-107 Commons, 117-119 Commons
Aus der Geschichte der Abtei Bleidenstatt, die Echtheit ihrer ältesten Urkunden. In: Nassovia 14 (1913), S. 153-156 Commons, 169-171 Commons, 183-185 Commons
Alois Henninger. Ein nassauisches Dichterleben. In: Nassovia 14 (1913), S. 205-208 Commons
Nikolaus Mohr (Maurus) aus St. Goarshausen (1503-1536). In: Nassovia 14 (1913), S. 252f. Commons
Aus den Predigten des Abts Ekbert von Schönau. In: Nassovia 14 (1913), S. 276f. Commons
Trier, Stadtbibliothek Cod. 299/1397
Heinrich Hembuche, Jakob von Eberbach und Matthaeus de Cracovia als literarische Freunde. In: Nassovia 14 (1913), S. 283-286 Commons
Unter anderem eine nicht näher bezeichnete Eberbacher Handschrift (siehe unten)
Es ist mir gelungen, alle diese Publikationen von 1913 online verfügbar zu machen (durch Nachweise von Digitalisaten und Erbetteln von solchen). Insgesamt fehlen noch einige seltene Monographien, ganz wenige Aufsätze in überregionalen Zeitschriften und ganz viele Aufsätze in den Heimatbeilagen von Zeitschriften. Manchmal dürfte nur der Darmstädter Nachlass Exemplare bieten. Dies ist insbesondere bei den wissenschaftlich-bibliographisch angelegten "Mitteilungen aus dem Antiquariat" (von Max Harrwitz in Berlin) der Fall, die Roth 1891 als Schriftleiter betreute. Auch kann man nur mit dem Kopf schütteln, dass der "Allgemeine Anzeiger für Druckereien" im wesentlichen nur in Wien nachweisbar ist.
http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg48531.html
Unabhängig von der Quellenproblematik ist der wissenschaftliche Wert seiner Studien aus heutiger Sicht eher gering einzuschätzen. Die Darstellung ist in der Regel spröde und deskriptiv. So ist die umfangreiche Geschichte der Familie von Eltz kaum lesbar und ähnelt eher einer Regestensammlung. Vielleicht noch am ehesten heute noch von Belang ist die Elisabeth von Schönau gewidmete Edition. Die schiere Fülle des Materials bietet natürlich heute noch mancherlei Anregungen für weitergehende Forschungen, die sich dann aber vorzugsweise an andere Quellen halten sollten.
Einige Urteile über Roths Arbeiten:
Ludwig Weiland wollte Roths "Fontes rerum Nassoicarum" trotz aller Mängel in der HZ die Achtung nicht versagen.
http://archive.org/stream/historischezeit27sybegoog#page/n347/mode/2up
Meyer von Knonau missfiel Roths Erstlingsschrift über Adolf von Nassau. Er fand, sie genüge ihrer Aufgabe "gar nicht".
http://retro.seals.ch/digbib/view?pid=szg-002:1882:7::78
Der Darmstädter Bibliothekar Adolf Schmidt urteilte 1890 über die im Vorjahr in den Romanischen Forschungen publizierten Mitteilungen aus der Hofbibliothek, die Arbeit sei "äusserst unzuverlässig und nur mit grösster Vorsicht zu benutzen".
http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k15864t/f547.image
Positiv rezensierte Philipp Strauch 1886 Roths Ausgabe der Werke Elisabeths von Schönau ("in allem wesentlichen lob"):
http://www.digizeitschriften.de/dms/img/?PID=PPN345204123_0030|log46&physid=phys464#navi
Für Funk in der Deutschen Litteraturzeitung fiel die Ausgabe dagegen "ungenügend" aus.
https://books.google.de/books?id=PuXjAAAAMAAJ&pg=PA140 (US)
Die Wiesbadener Stadtgeschichte fand wenig Anerkennung bei Friedrich Otto in den Jahresberichten der Geschichtswissenschaft 6 (1883), S. II, 110: “Wo dem Verfasser fremde Arbeiten nicht zu gebote stehen, ist das Buch höchst unzuverlässig und überall stösst man auf Irrtümer oder Missverständnisse, namentlich in Bezug auf die inneren Verhältnisse und die Entwicklung der städtischen Verfassung.”
http://books.google.de/books?id=IxbsAAAAMAAJ&pg=RA1-PA110 (US)
1974 bewertete Helmut Schoppa in seiner Geschichte der Stadt Wiesbaden das Buch nicht günstiger. Roth “legte eine Darstellung der Stadtgeschichte vor, die mit ihrer Lückenlosigkeit keine Wünsche offen ließe, wenn der Verfasser stets seine Quellen genannt hätte und wenn, was schwerer wiegt, seine Angaben der Nachprüfung standhielten. Die Forschung hat Roth indes derart vieler Irrtümer und Falschinterpretationen überführt, daß sein Werk heute nur noch mit größtem Mißtrauen in die Hand zu nehmen ist.”
https://www.google.de/search?tbm=bks&q="was+schwerer+wiegt+seine+angaben+der+Nachprüfung+standhielten.+**"
Yvonne Monsees in den Inschriften der Stadt Wiesbaden (2000), S. XXXIII: Roths "allgemein unkritischer und laienhafter Umgang mit historischen Quellen führte zu Lesefehlern und Fehlinterpetationen, so daß der Nutzwert seiner Wiesbadener Geschichtsschilderung extrem reduziert ist".
1972 schrieb Wolf-Heino Struck in der "Geschichte der Stadt Geisenheim" (S. VIII) über seinen Vorgänger: "Seine Materialsammlung hat noch Wert, soweit die von ihm benutzten Archivalien heute nicht mehr vorhanden sind. Doch fehlte ihm die wissenschaftliche Schulung. Er lieferte keine Darstellung, sondern war ein kritikloser Sammler, dem zudem häufig Lesefehler und Flüchtigkeiten unterliefen".
Am 20. Juni 2012 stellte mir Falk Eisermann eine Stellungnahme zur Verfügung:
"Nach meiner Ansicht verdienen Roths bibliographische Angaben in dem Beitrag 'Zur Litteratur deutscher Drucke des 15. und 16. Jahrhunderts' ( http://archive.org/stream/zeitschriftfrdph26berluoft#page/470/mode/2up ) kein Vertrauen." Der Rest des Statements:
http://archiv.twoday.net/stories/1022476725
Den Vorwurf eines "offenkundigen Plagiats" erhob in den Nassauischen Annalen 2014, S. 35 Anm. 28 Matthias Schmandt gegen Roth, da dieser Überlegungen von Philipp Schmelzeis über Kloster Eibingen ohne Nennung ihres Urhebers übernommen hat.
[F.W.E. Roth und Tuto von Laurenburg, Gründer des nassauischen Klosters Schönau
http://archiv.twoday.net/stories/1022477197/ ]
Notizen in Archivalia zu Roth:
Unzuverlässiges Regest
http://archiv.twoday.net/stories/948996453/
Eine handschriftliche Sammlung satirischer Zeitgedichte des 17. Jahrhunderts in der Mainzer Martinusbibliothek (Roth verschleiert den Fundort)
http://archiv.twoday.net/stories/603123975/
Roth und Johannes von Zazenhausen
http://archiv.twoday.net/stories/410257770/
Irreführende Angabe Roths (betreffend den NL Hertzog)
http://archiv.twoday.net/stories/156262614/
Unverantwortlicher Umgang Roths mit einer Würzburger Quelle zum Mainzer Turnier
http://archiv.twoday.net/stories/133338469/
Dilettantischer Umgang Roths mit einem Arnsteiner Glossengedicht
http://archiv.twoday.net/stories/97066694/
Roths Abdruck der "Innigen Seele"
http://archiv.twoday.net/stories/97069110/
sowie zuletzt
Eine althochdeutsche Glossenhandschrift und weitere Merkwürdigkeiten in F. W. E. Roths "Mitteilungen aus Handschriften und älteren Druckwerken" (1894)
http://archiv.twoday.net/stories/1022476725/
F. W. E. Roths "Sammelband von Schriften Taulers" (Germania 1892, S. 285)
http://archiv.twoday.net/stories/1022476575/
II. Roth als Hochstapler
Hinsichtlich dieses Charakterzugs Roth hat sein einziger Biograph Duchhardt eindeutig zu zurückhaltend formuliert. Die Lektüre der amtlichen Aussage Roths zum Sickingen-Archiv 1914 lässt einen einigermaßen sprachlos zurück. Der Text aus Bold 1954 ist bequem auf Commons greifbar:
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Roth_sickingen_1.jpg
Treffend kommentierte das Bezirksamt Homburg: "Entweder hat der Mann früher Märchen erfunden oder er erfindet jetzt Märchen, um Ruhe zu haben". Der Großschlachter Peinter in Ohio als Nachbesitzer ist also eine von Roth erfundene Legende. Weniger drastisch bekannte Roth seine Sickinger Lügenmärchen in einem ebenfalls 1914 erschienenen Aufsatz:
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/88/Archiv_f%C3%BCr_Familien-%2C_Wappen-_und_Siegelkunde_9-17.pdf
Man vergleiche damit die früheren Angaben zu Roths Sammlung und zum Sickingen-Archiv in der Freiburger Zeitschrift
http://archive.org/stream/ZeitschriftDerGesellschaftFuerBefoerderungDerGav1888-1890/ZeitschriftDerGesellschaftFuerBefoerderungDerGav1888#page/n315/mode/2up
und
http://archive.org/stream/ZeitschriftDerGesellschaftFuerBefoerderungDerGav1888-1890/ZeitschriftDerGesellschaftFuerBefoerderungDerGav1888#page/n115/mode/2up
Auch Roths Glossenhandschrift soll, so die Mitteilung bei Steinmeyer-Sievers
http://www.archive.org/stream/diealthochdeuts03sievgoog#page/n702/mode/2up
Ende 1894 von Roth über einen Bremer Agenten an einen Privatmann in Ohio verkauft worden sein. (In diesem Fall habe ich hoffentlich plausibel gemacht, dass Roth diese althochdeutsche Glossen selbst erfunden hat.)
Eine Variante der Ohio-Legende ist offenkundig die Angabe NA 1898, S. 567 die Roth gehörige hochmittelalterliche Handschrift mit dem sogenannten "Gebetbuch" der Elisabeth von Schönau und dem Schönauer Nekrolog sei "jetzt in Nordamerika". Roths "Nachlass" in Darmstadt, eine bewusst für die Nachwelt präparierte Sammlung unveröffentlichter Arbeiten, enthält ein Handexemplar der Nekrolog-Edition in den "Studien und Mitteilungen" OSB. Die handschriftlichen Korrekturen betreffen aber anscheinend nur Datierungsfragen, nicht den Wortlaut.
http://www.digizeitschriften.de/dms/resolveppn/?PID=PPN345858530_0023%7Clog41
http://archive.org/stream/dievisionenderhl00elis#page/212/mode/2up
Von dem Codex fehlt jede Spur. Und nicht nur von diesem. Fast alle wertvollen Quellenschriften aus Roths Besitz sind verschollen. Wenige von ihm angekaufte Stücke nannte Roth 1883:
http://www.dilibri.de/rlb/periodical/pageview/96720
Ansonsten muss man die angeblichen Bibliotheksinhalte aus seinen Publikationen erschließen. Keine einzige Bibliothekshandschrift vormals im Besitz Roths ist heute noch greifbar. Von archivischen Amtsbüchern ist mir nur bekannt das Eltviller Oberamtbuch im Stadtarchiv Eltville, über das auf
http://www.rheingau-genealogie.de/goebel.htm
ein Brief von Hermann Göbel zitiert wird:
"Von der Heil`schen Familie erwarb es der frühere Kirchenrechner und Antiquar Karl Roth, von dem es sich auf dessen Enkel, den inzwischen verstorbenen Archivar Wilhelm Roth vererbte. Letztgenannten diente die wertvolle Handschrift 1880 bei Herausgabe seines 4-bändigen Werkes "Geschichtsquellen des Niederrheingaues" als Fundgrube. Im Februar 1916 erwarb ich das wertvolle Manuskript von dem Archivar Roth gegen Austausch eines dem 15. Jahrhunderts angehörenden Missale (Messbuch) aus dem Kloster Eberbach."
Das GLA Karlsruhe enthält im Findbuch zum Bestand 72 unter den Nr. 8135-8140 Einträge zu 1889 von Roth angekaufte Sickingen-Akten.
http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=4-1642904 (Nr. 8135)
Alfons Bold konnte in den Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 1854 von drei dicke Faszikeln sickingischer Akten aus dem Besitz des Barons von Recum berichten, die den Stempel Roths trugen (S. 30). Ansonsten gibt es wohl nur ein paar Druckschriften die auf Roth zurückgehen wie
http://www.inka.uni-tuebingen.de/?inka=32000041
Das sind zwei Blätter aus dem Breviarium Spirense, die Roth dem Historischen Verein Speyer verehrte. Er sagt in einem Brief, das Mainzer Exemplar sei "sehr defect", aber nicht, dass diese Blätter dem Mainzer Exemplar entstammen! (Duchhardt 1972, S. 155)
In den "Nachrichten für wissenschaftliche Bibliotheken" las man nach dem Zweiten Weltkrieg folgende Notiz: F.W.E. Roth, zuletzt wohnhaft in Niedernhausen/Taunus erwarb 1887 aus dem Nachlaß eines Rheingauer Gutsbesitzers einen Scivias-Kodex, der aus der Abtei Eberbach im Rheingau stammte. Es handelt sich um eine der ältesten Hss des Scivias aus dem 12./13. Jh. in Kleinfolio. 1888 veröffentlichte Roth aus dieser Hs die erste Scivias-Vision in den „Romanischen Forschungen" Bd. 4 (1891). 1918 beschrieb Roth die Hs nochmals in den „Stud. u. Mitteilungen z. Geschichte des Benediktinerordens". Bei Roths Tode im Jahre 1924 fand sich der Kodex nicht mehr in seinem Nachlaß. Auch in seinen handschriftlichen Aufzeichnungen fand sich kein Hinweis, wohin der Kodex gekommen wäre. Ebenso fehlt jede Spur von seinen anderen Hss, die (sicher auf Angabe Roths hin) in P. Schwenke, Adreßbuch der Deutschen Bibliotheken, 1893, mit 154 Hss des 10. — 19. Jh. verzeichnet sind. (Roth'sche Familienfideikommiß-Bibliothek, Geisenheim a. Rh., S. 134. Von einem Roth'schen Fideikommiß ist bei keiner der amtlichen Stellen etwas bekannt.) Bei einer Reihe von Bibliotheken und Antiquariaten wurden bereits Nachforschungen angestellt, aber alle ohne Erfolg. Für die Vorbereitung einer kritischen Ausgabe der Werke der Hl. Hildegard wäre es wichtig, diesen Kodex aufzufinden. Mitteilungen werden erbeten an Direktor Götting, Wiesbaden, Nassauische Landesbibliothek.
https://books.google.de/books?id=RZoaAAAAMAAJ&q=%22f+w+e+roth%22+handschrift
Schwenkes Zusammenstellung erfolgte unter Mitwirkung Roths, dem im Vorwort gedankt wird.
http://archive.org/stream/adressbuchderde00schwgoog#page/n428/mode/2up
Außer den 154 Handschriften soll die Bibliothek von über 5000 Bänden über 100 Inkunabeln und über 500 Bände des 16. Jahrhunderts enthalten haben - vermutlich reine Aufschneiderei. Schlagend demonstriert wird die Hochstapelei Roths durch eine kleine Meldung im Anzeiger des GNM 1890:
"“Wiesbaden, 25. März. Archivar F. W. E. Roth hat in einem hiesigen Privatarchive vier Folioblätter des 11. Jahrhunderts mit je dem Anfange des 18. und 19. Buches der Geschichte des Tit. Livius Patavinus, einzelne Bruchstücke des Rolandsliedes vom Pfaffen Kuonrad aus dem 14. Jahrhunderte und Bruchstücke eines bis jetzt nicht bekannten Druckes von Gutenberg entdeckt. (Nordd. Allg. Ztg. Nr. 144.)”
https://archive.org/stream/anzeigerdesgerma1890germiala#page/42/mode/2up
Selbstverständlich hat man nie mehr von diesen wundersamen Funden gehört.
Dr. Martin Mayer von der Landesbibliothek Wiesbaden hat mir freundlicherweise eine Kopie eines nur abschriftlich erhaltenen Briefs Roths an den Direktor der Wiesbadener Bibliothek vom 1. Dezember 1898 überlassen, in dem dieser einige teils seltene Bücher der Bibliothek anbietet (die Liste fehlt) und angibt, Berlin, Straßburg und Nürnberg hätten "fast meine sämtlichen Nassoica und alten Drucke erworben". Nachfragen bei der SB Berlin und der BNU Straßburg ergaben, dass Roth zwar einige Bücher dorthin verkauft hat, aber keine wertvollen alten Drucke. Die diesbezüglichen Unterlagen der Stadtbibliothek Nürnberg befinden sich im Stadtarchiv Nürnberg; wenn er das GNM gemeint hat, so kam aus dieser Institution eine Fehlanzeige. Im Inkunabelkatalog gibt es kein Stück aus seinem Besitz. Also auch hier haben wir es mit einer dicken fetten Lüge Roths zu tun.
Roth war also ein notorischer Lügner hinsichtlich der Provenienz und des Verbleib seiner Sammlungsbestände.
III. Gottfried Zedlers Auseinandersetzung mit Roth 1921
Gottfried Zedlers Abrechnung vor allem mit den Fälschungen Bodmanns und Schotts erschien 1921 als Nassauische Annalen. Band 45, 1918-1921:
http://archive.org/details/NassauischeAnnalen45
Siehe http://archiv.twoday.net/stories/97064148/
S. 378 verzeichnet die Urkundenübersicht Korrekturen zu Roths "Fontes", S. 384 werden im Sachregister s.v. Roth zahlreiche kritische Bemerkungen registriert.
S. 65f. behandelt Zedler ein Regest Roths zu 1138 aus einem Manuskript von Severus als "verdächtige moderne Überlieferung". Er konnte die Quelle bei Severus nirgends finden und stellte fest, dass sie mit echten Quellen in offenem Widerspruch stehe.
S. 73f. macht Zedler Roth für die moderne Fälschung einer Urkunde angeblich von 1090 auf der Grundlage einer Bodmann'schen Fälschung aus einem nur Roth vorliegenden und nur hinsichtlich dieser einen Urkunde von ihm verwerteten Kopialbuch des Klosters Johannisberg aus dem 15. Jahrhundert verantwortlich.
https://archive.org/stream/NassauischeAnnalen45/NassauischeAnnalen451921#page/n89/mode/2up
Schon Sauer hatte sich über das Vorgehen Roths gewundert:
https://archive.org/stream/codexdiplomatic02sauegoog#page/n121/mode/2up
S. 301f. geht Zedler auf den merkwürdigen Umstand ein, dass Roth in seinen Fontes so tut, als habe ihm eine von Bodmann gefälschte "Narratio" selbst vorgelegen, was er aber in einem Briefwechsel mit Weiland zurücknahm. Er habe den Text aus Nachträgen Bodmanns. Zedler bezweifelt, dass Bodmann das von Roth mitgeteilte Stück selbst gefälscht habe. Dass er Roth für den Fälscher hielt, darf man annehmen. Für Roth war es gefahrlos, den später stark zerstörten riesigen Bestand des Bodmann-Habel-Nachlasses als Quelle seiner Fälschungen zu fingieren, da man ohne genaue Angaben in den Quellenmassen nichts gezielt überprüfen konnte.
S. 354ff. nimmt Zedler sich Roths Rettungsversuch der (gefälschten) Bleidenstädter Traditionen vor und ist sichtlich empört über die "bodenlosen Ausführungen" (S. 356). In der Nassovia 1914 beruft Roth sich auf eine Abschrift aus dem Nachlass des Pfarrers Severus (gest. 1779). Dieser hatte nach Roth die (von Schott gefälschte) Schenkungsurkunde von 838 vorliegen. Sarkastisch überlässt Zedler Roth die Lösung des Rätsels. Das gilt auch für die "mysteriösen Mitteilungen" Roths in der Nassovia 1917 über eine ihm vorliegende Abschrift Schunks, die Schott und Bodmann entlaste.
Wenn man heute mit Fug und Recht die Bleidenstädter Traditionen als Fälschungen Schotts ansieht, kommt man um den Schluss nicht herum, dass Roth seine Gegenbeweise, nämlich die Manuskripte von Severus und Schunk (dieser überlieferte nach Roth auch die ominösen Meistersingerunterlagen, nach denen Germanisten wiederholt vergeblich gesucht haben), erfunden hat!
Von den Kritikern Zedlers, die mit diesem durchaus hart ins Gericht gingen, ist Roth notabene nie entlastet worden. Im Gegenteil: Schaus spricht davon, dass der ausgedehnten Fälschertätigkeit Bodmanns und Schotts "durch die Unverantwortlichkeiten des noch lebenden F. W. E. Roth eine Art Nachspiel beschert war".
http://hdl.handle.net/2027/inu.30000115818126?urlappend=%3Bseq=485 (US)
Drögereit widmete sich den Bleidenstädter Traditionen (Nassauische Annalen 1938), ohne Roth zu erwähnen und kritisiert stattdessen die Zedlersche Untersuchung - kommt aber zu keinem anderen Ergebnis als dass die Traditionen von Schott gefälscht wurden.
Fazit: Schon Zedler 1921 hat Roth nicht nur zahlreiche Ungenauigkeiten und Lesefehler vorgeworfen, sondern - wenngleich eher indirekt - Quellenfälschungen. Dass er diesem die Beweislast zuschob, erklärt sich dadurch, dass Roth noch lebte und 1921 noch kleinere Arbeiten veröffentlichte. Zedlers Argumentation gegen Roth ist absolut nachvollziehbar und methodisch nicht zu beanstanden.
IV. Walther Ludwig entlarvt 1987 das "Severus Ms." als Chimäre
Ohne die Arbeit Zedlers zu kennen, hat sich der Hamburger Altphilologe Walther Ludwig, ein exzellenter Kenner des deutschen Humanismus, 1987 näher mit Roths Arbeitsweise beschäftigt. Zur Charakteristik Roths stützt er sich nur auf Duchhardt, der Roth verharmlosend "Unkorrektheiten" attestierte. Ludwigs Schrift "Römische Historie im deutschen Humanismus. Über einen verkannten Mainzer Druck von 1505 und den angeblich ersten deutschen Geschichtsprofessor" berichtet von zwei Überraschungen. Ludwig stellte fest, dass Bernhard Schöfferlin entgegen der Aussage der Sekundärliteratur gar keine Liviusübersetzung, sondern eine eigenständige Geschichte Roms verfasst hat. Und er fand heraus, dass Schöfferlin entgegen der auf Roth zurückgehenden Communis opinio auch nicht 1504 die von Ivo Wittich gestiftete Mainzer Geschichtsprofessur übernommen haben kann (Ludwig zu Roth: S. 22-29). Aus einer bislang nicht beachteten Urkunde des Esslinger Katharinenspitals ging nämlich hervor, dass Schöfferlin 1501 bereits tot war! Roth berief sich auf bei dem Mainzer Gymnasialprofessor Hennes befindliche Aufzeichnungen von Johann Sebastian Severus, von denen Ludwig trotz umfangreicher Bemühungen keine Spur finden konnte. Unauffindbar waren nicht nur die angeblich im Besitz von Hennes gewesenen Aufzeichnungen, der Inhalt konnte auch nicht in den Handschriften des Severus oder den von ihm zusammengestellten Gamansischen Fragmenten ermittelt werden (S. 24 Anm. 47). Ludwig war nicht der erste, der lange vergeblich nach diesen Severus-Unterlagen gesucht hat, siehe Reinmar Walter Fuchs: Die Mainzer Frühdrucke mit Buchholzschnitten 1480–1500, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 2 (1958-1960), S. 1–129, hier S. 98f.
Ludwig wirft Roth vor, dass er "öfters flüchtig und fehlerhaft" gearbeitet habe (S. 25) und macht das an zwei Beispielen fest. Man könne aber auch nicht ausschließen, dass Roth "Neues erfand, um damit Annahmen, die ihm gewiß schienen, zu bekräftigen" (S. 26). Ludwig hält es für unwahrscheinlich, dass der gewissenhafte Severus Schöfferlin als ersten Geschichtsprofessor genannt habe. Näher liege, dass Roth seine Annahme "der besseren Glaubwürdigkeit wegen als Überlieferung des Severus erklärte. Es sei hier nicht mehr behauptet, als daß eine derartige Falschangabe durch Roth möglich erscheint und, solange das mysteriöse von ihm angeblich benutzte 'Severus-Ms.' nicht überprüfbar ist, nicht ausgeschlossen werden kann" (S. 27).
In dem Manuskript von Severus fand Roth nach seinen Angaben aber auch die Kopie eines Briefes des Simon Ribysen, datiert Heidelberg V Idus Novembris 1503, an Schöfferlin in Mainz. Die Existenz eines solchen Briefs sei "nicht nur realiter unmöglich, es ist auch ausgeschlossen, daß ein solcher Brief von Severus angeführt worden ist und unwahrscheinlich, daß Roth einen von Severus tatsächlich zitierten Brief nur falsch referiert hätte" (S. 27). Ludwig hält es für wahrscheinlich, dass der "Brief von Roth selbst stammt" (S. 28). Da zahlreiche Angaben zur frühen Mainzer Universitätsgeschichte auf den derzeit unüberprüfbaren Angaben Roths aus Severus beruhen, plädiert Ludwig dafür, "ihnen mit Zurückhaltung zu begegnen, solange sie nicht durch von Roth unabhängige Quellen bzw. durch den Fund der angeblich von ihm benutzten Aufzeichnungen des J. S. Severus verifiziert werden. Vielleicht hat der Autodidakt Roth, der mit den professionellen Historikern hinsichtlich beruflicher Stellungen ständig in einem erfolglosen Konkurrenzkampf lag, diesen zeigen wollen, daß er mehr wußte, als sie alle zusammen" (S. 28). Es sei dringend nötig, auch die anderen Angaben Roths zu überprüfen.
Jürgen Steiner: Die Artistenfakultat der Universität Mainz 1477-1562 (1989) hat Ludwigs Skepsis rezipiert und Roth verschiedentlich Falschangaben nachgewiesen (92 Anm. 229, 148, 309 Anm. 139, S. 413-415, 498 Anm. 37).
1999 musste sich Uta Goerlitz mit Roths Arbeiten auseinandersetzen (Humanismus und Geschichtsschreibung am Mittelrhein, S. 12, 20f., 28 Anm. 4, 30 Anm. 9, 31 Anm. 15, 34f., 52 Anm. 10, 70 Anm. 187, 84 Anm. 252). Sie rezipierte Ludwigs Ausführungen und betonte wiederholt Roths Unzuverlässigkeit. Interessant sind zwei Stellen (87 Anm. 260, 88 Anm. 262f.), an denen sie die von Roth bemühten Angaben eines "Schunk-Ms." widerlegt. Zu dem von Roth genannten Geburtsdatum von Wolfgang Trefler registriert sie, dass Schunk in einer von ihm gedruckten Arbeit das von Roth aus einem Schunk-Ms. angeführte Datum nicht angebe. Roth will in der Hofbibliothek Darmstadt ein Exemplar der Epistolae clarorum virorum 1518 gesehen haben, das Nikolaus Basellius eigenhändig Trefler gewidmet habe. Dieses Exemplar gibt es in Darmstadt nicht, und nach Mitteilung von Kurt Hans Staub an Goerlitz habe es sich dort auch seinerzeit nicht befunden. Man wird es mir nachsehen, wenn ich darin eine weitere Erfindung Roths erblicke.
Nur ausnahmsweise wird es gelingen, die eher unauffälligen Ergänzungen der Lebensläufe der Mainzer Gelehrten in den diversen Arbeiten von Roth zu ihnen durch Severus-Manuskripte zu widerlegen. Auch wenn sie gefälscht wurden, sind sie nicht als Fälschungen nachweisbar.
Immerhin kann ich einen weiteren Beleg zu den Mainzer Gelehrten beisteuern, bei dem Roth "falsch gefälscht" hat. Mehrfach hat Roth sich zur Involvierung der Mainzer Universität in den Reuchlin-Streit geäußert.
http://idb.ub.uni-tuebingen.de/diglit/kath_1898_018/0250 (1898, bei Bertram)
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8e/Roth_thueringen.pdf (bei Bertram, 1899/1900)
http://dlib-zs.mpier.mpg.de/mj/kleioc/0010/exec/bigpage/%222085091_22%2b1901_0384%22 (bei Weidmann, 1901)
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c3/Bartholom%C3%A4us_Zehender_und_Johann_Stumpf_von_Eberbach.png (bei Zehender, 1902, ohne Belege)
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/30/Roth_Zur_Geschichte_der_Mainzer_Juristenfakult%C3%A4t.png (Mainzer Juristenfakultät, 1902, hier zitiert 1902a, ohne Belege)
http://idb.ub.uni-tuebingen.de/diglit/kath_1909_004/0443 (bei Zehender, 1909, zitiert 1909a)
http://idb.ub.uni-tuebingen.de/diglit/kath_1909_004/0145 (Kampf um die Judenbücher 1909)
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Roth_Johann_Reuchlin_vor_der_theologischen_Fakult%C3%A4t_zu_Mainz_1511-1513.pdf (Johann Reuchlin vor der theologischen Fakultät zu Mainz, 1915, ohne Belege)
Obwohl es durchaus wichtig gewesen wäre, zitiert Roth an keiner Stelle die Mitteilungen des Severus "ex archivo regiminali" (so zuerst 1898) wörtlich. 1909 gibt er als Fundort das Pfarrarchiv Geisenheim an, wo man ein Severus-Manuskript seither vergebens gesucht hat (auch ich habe beim Pfarramt angefragt und die übliche Auskunft bekommen). Dort gab es tatsächlich eine grüne Mappe mit Severus-Aufzeichnungen, glaubt man dem Verzeichnis der Rheingauer Archive 1885, aber dieses Verzeichnis stammt von keinem anderen als Roth!
http://www.archive.org/stream/westdeutschezei00unkngoog#page/n439
Im NA 1909 deutete Roth aber an, dass die Aufzeichnungen dort nicht mehr befänden ("s. Z. aufbewahrt gewesenen Nachlass").
http://www.digizeitschriften.de/dms/resolveppn/?PID=PPN345858530_0034%7Clog32
Allerdings hatte schon 1875 Falk Aufzeichnungen von Severus im Pfarrarchiv Geisenheim vorgefunden, aber nichts darin von Bedeutung für das neu begründete Bistum Mainz gelesen.
http://periodika.digitale-sammlungen.de/bdlg/Blatt_bsb00000189,00094.html
Hat Roth womöglich die Sachen beseitigt, damit man ihm nicht auf die Schliche als Fälscher kam?
Roth macht in seinen angeführten Arbeiten widersprüchliche Angaben über die Mitteilungen zum Reuchlin-Handel aus der Geisenheimer Severus-Quelle.
1898 gab er als ersten der fünf Mainzer Richter, die am 15. September 1511 über Reuchlin richten sollen, Caspar von Westhausen an, während er in den späteren Publikationen an dieser Stelle stets Johann Monasterii nannte.
Roth nennt - wohl weil Geiger in seiner Reuchlin-Monographie leserunfreundlich häufig das Jahresdatum wegließ - penetrant das falsche Datum 1511, obwohl die Sache in den Herbst 1513 gehört. 1909 schreibt Roth wenig plausibel, der Mainzer Domdekan und sein Kapitel hätten am 27. September 1511 geschrieben, der Termin sei auf den 12. Oktober 1513 vertagt worden. 1898 heißt es richtig 27. September 1513, aber die Vorladung datiert vom 15. September 1511 (ebenso 1899/1900).
Schon Gustav Bauch fiel auf, dass Roths Angabe, dass der Jurist Weidmann, der kurz vor 1518 promoviert hatte, schon 1513 als Mainzer Professor (Bauch sagt Dr. iur., aber das behauptet Roth an der von Bauch zitierten Stelle 1898 gar nicht) in der Reuchlin-Sache mit vier anderen als Richter vorgesehen war, schwerlich mit den übrigen Quellen vereinbar ist.
http://www.archive.org/stream/archivfurhessiscns05hist#page/78/mode/2up
Denn es heißt ausdrücklich (was Roth wohl bei Geiger
https://books.google.de/books?id=AsoFAAAAQAAJ&pg=PA294
überlesen hatte), es seien vier Mainzer Richter eingesetzt worden. So Gratius 1514:
http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00011546/image_12
Die moderne Reuchlin-Forschung hat sich daran nicht gestört und die von Roth genannten fünf Namen in ihre Darstellungen eingebaut (Winfried Trusen in: Reuchlin und die politischen Kräfte seiner Zeit, 1998, S. 95; Johannes Reuchlin Briefwechsel 2, 2003, S. 462).
Gemäß Roth 1901 gehörte Weidmann zu einer Kommission, die 1509 ein Gutachten über die Judenbücher im Auftrag Maximilians I. abgeben sollte, während er nach Roth 1902a im Jahr 1510 als Sachverständiger im Reuchlin'schen Streit tätig war. Nach Roth 1901 wurde er 1515/16 Dr. iur. und Mainzer Professor, was ganz und gar nicht zu dem 1898 berichteten Auftreten als Mainzer Professor 1511 (bzw. 1513) passt.
Roth nennt Weidmann irrtümlich einen Gegner Reuchlins, in Wirklichkeit war er ein "glänzender Anhänger" des Humanisten (Steiner S. 147; Eckhart Pick, Mainzer Reichsstaatsrecht, 1977, S. 24f.; Schrohe, in: AHG NF 15, 1928, S. 616).
1898 (ebenso noch 1899/1900) war Roth offenbar entfallen, dass Pridie Kal. Novembris der 31. Oktober ist, sonst hätte er wohl kaum angemerkt, dass die Datierung des Mainzer Gutachtens bei Severus in den Oktober 1510 chronologisch besser passen würde. 1909 führt er dann diese Severus-Datierung nur noch an, um die Glaubwürdigkeit von Severus zu belegen.
Ein weiteres der Forschung bis Roth unbekanntes Schriftstück aus dem angeblichen Severus-Konvolut war der Gutachten-Auftrag des Mainzer Erzbischofs vom 14. August 1510 (so 1898, 1909 und 1915) an die theologische Fakultät, vertreten durch Dekan Bertram und Regens Ortlieb. Roth hat dieses Dokument, das lediglich erwähnt wird, so gut in den bekannten Ablauf eingepasst, dass Einwendungen nicht möglich sind.
Was es mit Orliebs Erkrankung (und Vertretung durch Zehender), die man in der eigentlich relevantesten Darstellung 1909 vergeblich sucht, auf sich hat (sie wird von Roth 1902 und 1915 erwähnt und in 1909a ausdrücklich auf Severus zurückgeführt), ist den chronologisch konfusen Ausführungen Roths nicht klar zu entnehmen. Zur Tätigkeit Ortliebs siehe den Reuchlin-Briefwechsel S. 156. Am ehesten versteht man wohl das Ganze, wenn man annimmt, Roth habe die Ausführungen im Frankfurter "Archiv" über Ortlieb=Hess und Pfefferkorn missverstanden
https://books.google.de/books?id=xDEDAAAAYAAJ&pg=PA213
und eine Erkrankung Ortliebs erfunden. Ortlieb wurde in Frankfurt sehr wohl gemeinsam mit Pfefferkorn tätig. Wenn Ortlieb und Pfefferkorn am 2. Januar 1510 beauftragt wurden, wie konnte Zehender in Folge des "Mißerfolgs" in Frankfurt (so Roth 1902 und 1909a) Mainz verlassen und nach Heidelberg gehen, wo er im Oktober 1509 immatrikuliert wurde? (Roth 1902 sagt übrigens versehentlich "Mainz" statt Frankfurt.)
Angesichts der dargestellten Varianten in den diversen Publikationen Roths und der teilweisen Unvereinbarkeit mit den Angaben zeitgenössischer Quellen ist es wohl nachvollziehbar, wenn ich die Reuchlin-Forschung auffordere, von der weiteren Verwertung der angeblich von Severus stammenden Details zum Reuchlin-Streit Abstand zu nehmen. Meine Ergebnisse zum Komplex Reuchlin stimmen zu Ludwigs Ergebnissen und unterstützen seinen Fälschungsverdacht. Anders als Ludwig konnte ich eine ganze Reihe von Publikationen Roths miteinander vergleichen.
V. Weitere verschollene Quellen, die nur Roth kannte
Zu den Publikationen über Handschriften in der Germania 1892 und ZfdPh 1894 habe ich in den letzten Tagen zwei ausführliche Analysen vorgelegt.
http://archiv.twoday.net/stories/1022476575/
http://archiv.twoday.net/stories/1022476725/
Von den neun Nummern 1892 sind fünf nicht mehr erreichbar. Im Fall des angeblichen Tauler-Sammelbands kann man die Fälschung wohl mit Händen greifen. Von den 18 Nummern 1894 ist die Hälfte nicht mehr greifbar. 1892 und 1894 hat Roth jeweils eine Seuse-Handschrift auf zwei Nummern verteilt. 1894 hat er ein lateinisches Vagantengedicht gesplittet und auf zwei Handschriften angeblich in seiner Bibliothek verteilt. Auch bei den angeblich nach Ohio verschwundenen althochdeutschen Glossen plädiere ich für eine Fälschung. Bei den verschollenen Stücken aus Roths Besitz konnte Roth vergleichsweise einfach Inhalte und Texte erfinden. Natürlich kann man nicht ausschließen, dass er authentische Stücke beschrieb.
Zum Trithemius-Jubiläum 1916 zauberte Roth eine inhaltsreiche Schönauer Klosterhumanismus-Handschrift unter anderem mit Trithemius-Texten aus dem Hut, angeblich in Privatbesitz in Nastätten,
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Roth_Des_Klosters_Schoenau_literarische_Bluete.pdf
die in Klaus Arnolds Überlieferungsübersicht 1991
http://www.yumpu.com/de/document/fullscreen/26756704/arnold-trithemius-1991
fehlt. Von mir mit meinem Fälschungsverdacht gegen Roth konfrontiert, schrieb mir Arnold:
"Jeder Fälscher macht Fehler, und Roth hat einfach übertrieben hinsichtlich des Umfangs und Inhalts (sollen doch zusätzlich noch zwei Pergamentcodices des 14. Jahrhunderts angebunden gewesen sein).
Zum Inhalt der "Schönauer Handschrift": Die Schreibernotiz 1497 soll dem Ganzen Glaubwürdigkeit verleihen (634); wirklich ein umfassender Sammelband: Adrian, Melchior, Schwelm, Trithemius, Trefler ...; eine deutsche Allerheiligenlitanei in Versform; Melchiors "De rosario" deutsch, mit 1475 erstaunlich früh datiert (636); Schwelms Übersetzung des Annengebets sonst nicht nachweisbar; desgleichen eine Rede des Trithemius mit dem Incipit "Cum omnium etc."( die Erfurter 1492 aber sehr wohl sowie "De fuga saeculi" mit Incipit nach Busaeus, 637); ein sonst unbekanntes "Compendium" Wolfgang Treflers und seine "Exhortatio novitiorum" mit Incipit; und dann noch die zwei Pergamenthandschriften ...
Kurzum, ich glaube das alles nicht (auch wenn Harald Müller so einen sehr schönen Beleg für seinen "Klosterhumanismus" hätte) und vom Ganzen sonst nirgends eine Spur." (Mail vom 13. Juli 2012)
Für nicht wenige Inschriften in dem Band "Die Inschriften des Rheingau-Taunus-Kreises" von Monsees ist Roth die einzige Quelle. Durch Auswertung seiner kleinen Aufsätze käme wohl noch das eine oder andere Stück dazu. Aber ob die Berücksichtigung z.B. der Inschrift von 1487 in Eltville
http://www.dilibri.de/rlb/periodical/pageview/96799
nach einer Aufzeichnung von Pfarrer Severus wirklich ein Gewinn wäre?
In der oben erwähnten Schrift von 1913 u.a. über Matthäus von Krakau gibt Roth exklusiv zu den mit den Namen des Theologen verbundenen deutschen Beichtformeln "Ich sundiger mensch bekenne" (vgl. Worstbrock im ²VL 6, Sp. 177 und
http://www.handschriftencensus.de/werke/4445
http://www.handschriftencensus.de/werke/5029 ) eine Widmung an Abt Jakob von Eberbach aus einer nicht näher bezeichneten Eberbacher Handschrift. Die Widmung fehlt in den sonstigen Textzeugen. Die einschlägige Forschung hat die Publikation Roths 1913 wohl nicht registriert. Roth sagt, "offenbar" sei Matthäus durch das Eberbacher Kolleg in Heidelberg mit Abt Jakob in Beziehung getreten, aber er sagt nicht, wie das möglich gewesen wäre. Abt Jakob starb 1392 (Monsees), Matthäus ging erst 1394 nach Heidelberg. Seiner Textwiedergabe der "Beichte" konnte Roth die von ihm genannte Trierer Handschrift
http://www.handschriftencensus.de/24022
zugrundelegen. Hinzuerfinden musste er nur die Überschrift und die dreizeilige Widmung. Im HJb 1886, S. 227f. wusste er von der Widmung des Matthäus noch nichts.
Bisher konnte von der Forschung nur ein kleiner Teil der Publikationen Roths überprüft werden. Vor allem die umfangreichen vierbändigen "Fontes Rerum Nassoicarum" sind ein dicker Brocken. In vielen Fällen wird es bei einem mehr oder minder vagen Verdacht bleiben müssen, vor allem wenn Schreibsprachenexperten nicht zu Hilfe kommen oder sich uneins sind ...
Darf man Roth wirklich seitenlange Erfindungen auf Latein oder Frühneuhochdeutsch zutrauen? Je länger ein verdächtiger Text ist, um so schwieriger wäre es für Roth gewesen, ihn einigermaßen fehlerfrei zu fingieren. Gut zweieinhalb Druckseiten umfasst die Eltviller Urkunde von 1445 aus den Severus-Gamans-Kollekanteen, also einer jener Phantasiequellen Roths, die er 1886 abdruckte:
https://archive.org/stream/diedruckereizue00rothgoog#page/n31/mode/2up
Inhaltlich verdächtig ist das zum ewige Gedächtnis des Stifters eingeräumte Brunnennutzungsrecht.
Noch nicht veröffentlicht habe ich meine Recherchen zum Todestag Johannes Gutenbergs und den verschollenen Meistersinger-Unterlagen aus dem Nachlass Schunk. Man wird ahnen, zu welchem Schluss ich bei ihnen komme.
Glaubt man den Fälschungsargumenten, hat Roth schon in den "Fontes" gefälscht (so Zedler) und danach immer wieder. Beruft er sich auf ein Manuskript von Severus oder Schunk, sollte man den entsprechenden Beleg lieber nicht verwerten. Andererseits sind aber auch sehr viele seiner Arbeiten, soweit ersichtlich, "sauber", also ohne solche fingierten Quellen erarbeitet.
Ob es Roths Scivias-Codex oder das sogenannte Gebetbuch der Elisabeth von Schönau tatsächlich gegeben hat, müsste gründlich von Mittellateinern erwogen werden. Das Zwierlein'sche Archiv in Geisenheim
http://archiv.twoday.net/stories/97069007/
ist verschwunden; anscheinend hat nur Roth es ausgewertet. Selbstverständlich können bei solchen Stücken in öffentlichem Besitz durch den Zweiten Weltkrieg oder Vernachlässigung Verluste eingetreten sein, aber nicht nur bei dem oben erwähnten Basellius-Eintrag in einer Inkunabel der Darmstädter Hofbibliothek muss man damit rechnen, dass Roth den öffentlichen Sammlungen gefälschte Kuckuckskinder untergeschoben hat (natürlich nicht real).
Verdächtig ist auch, dass im von mir durchgesehen Nachlass von Roth Aufzeichnungen fehlen, die die Existenz der verschollenen Stücke plausibel machen könnten. Vielmehr finden sich in den von Roth für die Darmstädter Bibliothek wohl eigens ausgearbeiteten Aufzeichnungen weitere Dubia, etwa in Beiträgen zur Mainzer Gelehrtengeschichte 1898/1915 Bl. 30-30v Auszüge aus dem Seelbuch der St. Quintinus-Pfarrei Mainz (15. Jahrhundert), Folioblatt von der Hand des Pfarrers Severus.
Duchhardt weiß von "wiederholten Drohungen, das von ihm gesammelte Quellenmaterial zu vernichten" (1972, S. 153). In einem Konflikt mit dem Grafen Eltz wollte Roth partout nicht nach Vukovar reisen. Sollte der Graf darauf bestehen, so ist das "Streichholz schon gefertigt und alles vernichtet" (ebd., S. 152). Hin und wieder hätten ihn Depressionen veranlasst, durch seine Frau sämtliche ungedruckten Manuskripte verbrennen zu lassen (ebd., S. 150). Hat der offenbar psychisch kranke Roth womöglich so auch Originale entsorgt? Das wäre eine Erklärung für die große Zahl verschollener Handschriften, die sich angeblich in seinem Besitz befunden haben. Auch die Ohio-Legende könnte dazu gedient haben, solche ungeheuerlichen Quellenvernichtungen zu vertuschen, die, wären sie bekannt geworden, seinen Ruf völlig ruiniert und womöglich zu dauerhafter Einweisung in die Psychiatrie geführt hätten.
Aber diese Hypothese vermag die deutlichen Hinweise auf Fälschungen nicht zu entkräften. Roth behauptete die Existenz von Unterlagen, die es sicher nie gegeben hat. Keine der Aufzeichnungen von Severus oder Schunk konnte seither wiedergefunden werden; keine früheren oder parallelen Benutzungen dieser Unterlagen konnte ich finden.
V. Fazit
Dass Roth unzuverlässig war, wusste man schon lange. Sein Biograph Duchhardt, der Roth mit deutlicher Sympathie porträtierte, ließ die wenig erfreulichen Seiten Roths durchaus nicht unter den Tisch fallen. Aber von den Quellenfälschungen Roths liest man bei Duchhardt nichts, obwohl er Zedlers Arbeit zitierte. Walther Ludwigs Studie von 1987 ist vor allem von der Humanismus-Forschung beachtet worden.
Auf dem von Zedler und Ludwig gelegten Fundament konnte ich weiterbauen. Der Reuchlin-Komplex und die Analyse der Publikationen in der Germania 1892 und der ZfdPh 1894 lieferte weitere Fälschungs-Argumente.
Die nachgewiesene wissenschaftliche Unredlichkeit (siehe oben II) macht es für Verteidiger Roths schwer, die von mir angestrebte "Beweislastumkehr" abzuwehren. Aus meiner Sicht habe ich den Fälschungsverdacht hinreichend untermauert. Wer die Existenz nicht mehr greifbarer Quellen, die Roth exklusiv zugänglich waren, behauptet oder ihnen Informationen entnimmt, sollte ausführlich begründen müssen, welche Indizien für ihre Verwertung sprechen.
Bei den Motiven, die Roth zum Fälscher von Geschichtsquellen werden ließen (in seiner Generation in dieser Form einzigartig), spielte sicher die psychische Erkrankung eine Rolle. Der menschlich schwierige Autodidakt und Außenseiter konnte mit exklusiven Quellenkenntnissen auftrumpfen, es den akademischen Historikern zeigen, die abschätzig auf ihn heruntersahen. Er konnte Lücken schließen und seine Darstellungen mit - nicht immer bedeutenden - Details würzen, über die andere eben nicht verfügten.
Nachträge:
F. W. E. Roth als Bibliograph: Die Studie über den Mainzer Drucker Friedrich Heumann (1509-1512)
http://archiv.twoday.net/stories/1022477529/
http://archiv.twoday.net/stories/1022478902/
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Zum Thema Fälschungen in Archivalia:
http://archiv.twoday.net/stories/96987511/
#forschung
KlausGraf - am Donnerstag, 1. Oktober 2015, 01:12 - Rubrik: Geschichtswissenschaft
Koffeeinist (Gast) meinte am 2015/10/03 13:04:
Roth als Bibliograph
Hallo Froben,eine Frage zu Roths Arbeit als Bibliograph. Ich habe mich in den letzten drei Jahren intensiv mit den frühneuzeitlichen Kräuterbüchern befasst und dazu auf WS eine umfangreiche Bibliographie erstellt. Da ich gerade dabei bin, das Verzeichnis von professionellen Pharmaziehistorikern ergänzen zu lassen, bräuchte ich deine Einschätzung, wie verlässlich Roths bibliographische Arbeit ist. Soweit ich das beurteilen kann, sind seine Verzeichnisse der Kräuterbuchausgaben (z.B. zu Lonitzer oder Hieronymus Bock) bis heute grundlegend. Schöne Grüße, Koffeeinist
Koffeeinist (Gast) antwortete am 2015/10/04 15:28:
Danke
Herzlichen Dank für diese ausführliche Stellungnahme. Einen schönen Sonntag, Koffeeinist